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Rollover ohne Panik

Insassenschutz bei Fahrzeugüberschlägen: Am Prüfstand wird Vorschrift realisiert
Rollover ohne Panik

Die amerikanische Prüfvorschrift FMVSS 226 soll den Insassenschutz bei Fahrzeugüberschlägen verbessern. Sie definiert ein Testverfahren, nach dem Insassenschutzsysteme an den seitlichen Fensteröffnungen bei vorgegebenen Geschwindigkeiten erprobt werden. Das hier vorgestellte Unternehmen besitzt als einer der ersten Dienstleister in Europa einen Gesamtfahrzeug-Prüfstand für FMVSS 226. Die Versuchsergebnisse tragen dazu bei, zukünftige Mobilität sicher zu gestalten und Menschenleben zu retten.

Die Autoren Valentin Zimmermann und Andreas Gräfnitz sind tätig bei der Bertrandt Ingenieurbüro GmbH, München

Die US-Behörde NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration) veröffentlichte Ende 2009 einen Gesetzesvorschlag, um einen neuen Sicherheitsstandard für Straßenfahrzeuge zu etablieren. Diese Anforderung an Fahrzeuge auf dem US-Markt entstand aus der Intention heraus, die Sicherheit der Insassen in einer Rollover-Crashsituation signifikant zu erhöhen. Im Januar 2011 wurde das aus dem Gesetzesvorschlag entstandene Gesetz – die sogenannte Final Rule – veröffentlicht, die einen neuen Sicherheitsstandard nach FMVSS (Federal Motor Vehicle Safety Standard) mit der Nummer 226 und dem Beinamen „Ejection Mitigation“ festlegt. Dieser neue Standard ist ab März 2011 gültig und tritt im Jahr 2013 mit seinen konkreten Auswirkungen auf den Standard der Sicherheitssysteme im Fahrzeug in Kraft.
Bereits in der frühen Phase der Entstehung dieses neuen Standards beschäftigte sich Ber-trandt mit der Entwicklung eines neuen Prüfverfahrens und verfolgte kontinuierlich die weitere Entstehung der FMVSS 226. Obwohl es sich hierbei um ein neues Thema des Insassenschutzes handelte, konnte der Entwicklungsdienstleister aufgrund seiner Erfahrungen in der passiven Fahrzeugsicherheit schnell große Schritte machen und im Laufe der Prüfstandsentwicklung weiteres Know-how aufbauen.
Fensteröffnungen als kritischste Bereiche
Grundsätzlich fordert die FMVSS 226 von Fahrzeugherstellern und Zulieferern, ihre Produkte zu modifizieren, um ein Herausschleudern von Fahrzeuginsassen durch die Seitenscheiben zu vermeiden beziehungsweise ein teilweises Austreten zu begrenzen. Dies begründet sich auf Unfallstatistiken der USA. Demnach ist die häufigste Ursache für Todesfälle und Verletzungen mit Todesfolge beim Fahrzeugüberschlag die sogenannte „Ejection“ – also das Herausschleudern der Insassen aus dem Fahrzeug. Den kritischsten Bereich stellen hierbei die Fensteröffnungen im Seitenbereich der Karosse dar. Bereits vor Erscheinen des Gesetzesvorschlags, der so genannten NPRM (Note of Proposed Rulemaking), wurde ein Prototyp realisiert. Dieser Versuchsaufbau stützte sich auf Veröffentlichungen im Vorfeld der NPRM, die eine erste Richtung für die zukünftigen Vorgaben markierten und es Versuchsingenieuren und Herstellern ermöglichte, grundlegende Erfahrungen für die Zukunft zu sammeln. Beispielsweise testete Bertrandt an diesem Prototyp frühzeitig verschiedenste Fahrzeugmodelle auf die Erfüllung der vorläufigen Vorgaben hin und prüfte mögliche Entwicklungsansätze auf deren Wirkungsgrad. Für den Fortschritt der Prüfstandsentwicklung waren diese Erfahrungen sehr wichtig. Unterschiede und Auswirkungen der Steifigkeiten und Reibung des Prüfstands konnten analysiert und in der Entwicklungsarbeit von zukünftigen Fahrzeugauslegungen berücksichtigt werden.
Mit Erscheinen der Gesetzesvorlage konkretisierten sich die Anforderungen an das Fahrzeug sowie das Prüfverfahren erstmals. Wie erwartet, wurde durch die NHTSA ein Verfahren bestimmt, das ein Testing des Fahrzeugs am Prüfstand ermöglicht. Dies bedeutet, dass ein zu testendes Fahrzeug feststehend in einer Versuchsumgebung mit Hilfe einer speziellen Prüfeinrichtung (Linear Impaktor) auf die Erfüllung der neuen Anforderungen untersucht werden kann.
Linear geführter Prüfkörper
Das Verfahren sieht vor, dass eine Insassenschutzeinrichtung in entfaltetem Zustand, wie ein Curtain-Airbag, durch einen linear geführten Prüfkörper bei definierten Geschwindigkeiten und Zeiten getroffen wird. Bei dieser Anordnung darf der Prüfkörper nicht weiter als 100 mm über die Innenfläche der Seitenscheibe austreten. Dieser Prüfablauf stellt den Aufprall des Fahrzeuginsassen bei einem Rollover-Crash dar. Hierfür wurde ein spezieller Dummy-Prüfkörper entwickelt, ein Lastkollektiv aus seitlichem Kopf- und Schulterbereich, die sogenannte „Featureless Headform“. Zusätzlich zu Schutzsystemen in Form von Airbags ist es in gewissem Rahmen auch zulässig, Seitenscheiben aus Verbundsicherheitsglas einzusetzen, um die eingeleitete Energie beim Auf- prall abzufangen. Diese sind jedoch für eine Prüfung gezielt und reproduzierbar vorzuschädigen.
Da im Vorfeld zur Veröffentlichung bei Ber-trandt bereits erste Untersuchungen zur FMVSS 226 durchgeführt und ein erster Prüfaufbau realisiert worden war, konnte dieser sehr schnell an die Anforderungen aus der NPRM angepasst werden. Innerhalb kurzer Zeit wurden erste Voruntersuchungen mit verschiedenen Kunden durchgeführt. Mit Blick auf zu erwartende Änderungen vom Gesetzesvorschlag zum endgültigen Gesetz wurden – parallel zu den Erprobungen nach NPRM und basierend auf der zunehmenden Erfahrung – Lösungsansätze für die Erfüllung des Gesetzes entwickelt. Hier zeigte Bertrandt anhand von Versuchen auf, wie zum Beispiel ein Luftsack des Curtain-Airbags ausgelegt sein muss, um die Vorgaben sicher erfüllen zu können.
Prüfstand erfüllt Anforderungen der Final Rule
Die mit Spannung erwartete Veröffentlichung der Final Rule brachte im Januar 2011, wie erwartet, eine Vielzahl an Änderungen mit sich, die sich auf den Prüfstand sowie die Versuchsdurchführung auswirkten. Somit zahlte sich die Vorarbeit prüfstandsseitig als auch hinsichtlich der Versuchsdurchführung aus. Mit dem aufgebauten Know-how auf dem Feld der FMVSS 226, ersten Erfahrungen mit dem selbst konzipiertem Prüfaufbau nach NPRM und kombiniert mit dem Spezialisten-Wissen des Prüfstandherstellers Fron Tone war es Bertrandt nun möglich, einen Prüfstand nach den neuen verschärften Anforderungen des endgültigen Gesetzes zu realisieren. Bereits drei Wochen nach Erscheinen der Final Rule stellte Fron Tone Bertrandt einen Linearimpaktor zur Verfügung, mit dem das Prüfen nach der finalen FMVSS 226 möglich war. Mit der Adaptierung der Einheit am Prüfstand war nun einer der europaweit ersten Prüfstände geschaffen, der die neuen Anforderungen an Steifigkeit, Reibwerte, Zielgenauigkeit und Geschwindigkeiten erfüllt.
Bertrandt; Telefon: 07034 656-4037; E-Mail: anja.schauser@de.bertrandt.com
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