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Radmomente auf Zuteilung

Hybrid-Hinterachse mit Torque-Vectoring-Funktion zur Fahrdynamikbeeinflussung
Radmomente auf Zuteilung

Für die zwingend erforderliche energetische Optimierung des Automobils nimmt die Elektrifizierung des Antriebs zunehmend eine Schlüsselrolle ein. Das vorgestellte Konzept zeigt eine Hybrid-Hinterachse mit Torque Vectoring Funktion. Es basiert auf der gezielten Einbindung von elektrischen Maschinen in den hybriden Antriebsstrang zur Optimierung von Fahrdynamik und Sicherheit.

Der Anordnung der elektrischen Maschinen für die Realisierung eines verbrennungsmotorisch-elektrisch hybriden Antriebstranges kommt eine wesentliche Bedeutung hinsichtlich Effizienz, Funktionalität und Integration zu. Hingegen erschließen neuartige Konzepte zur rad- individuellen Verteilung der Antriebsmomente große Potenziale für Fahrzeugdynamik und -sicherheit. Das folgende Konzept verbindet durch die gezielte Einbindung von elektrischen Maschinen die Funktionalitäten eines hybriden Antriebsstranges mit der Optimierung von Fahrdynamik und -sicherheit.

Beeinflussung der Radmomentenverteilung
Aufgrund des Wunsches nach großer Variabilität in der Radmomentenverteilung haben sich verschiedene Differential- und Kupplungssysteme im Markt etabliert. Typische Vertreter sind Sperrdifferentiale und hang-on-Kupplungen, welche selbstregelnd oder regelbar eine passive oder aktive Beeinflussung des Rad- beziehungsweise Achsmomentes realisieren können. Hier lässt sich der fahrdynamische Vorteil nur begrenzt nutzen, da die Richtung der Drehmomentenverteilung nicht frei gewählt werden kann.
Frei momentenverteilende Systeme ermöglichen eine aktiv beeinflussbare und variable Zuteilung von Radmomenten an einer Achse oder zwischen den Achsen. Die beliebige Richtung der Drehmomentenverteilung bei gleichzeitig uneingeschränktem Drehzahlausgleich ist nicht nur für eine optimale Ausnutzung des Kraftschlusspotenzials, sondern auch für eine gezielte Giermomentenbeeinflussung Voraussetzung. Dabei kann eine Einteilung in Torque-Splitter-Systeme, die das zur Verfügung stehende Antriebsmoment frei aufteilen und Torque-Vectoring-Systeme, die unabhängig vom Antriebsmoment durch systeminternen Leistungsfluss ein Differenzmoment erzeugen können, vorgenommen werden.
Bild 2 veranschaulicht die fahrdynamischen Eingriffsmöglichkeiten bei voller Variabilität der Antriebsmomentenverteilung. Neben dem Eintrag eines korrigierenden Giermomentes über die Längskraftdifferenzen der Räder einer Achse ist ein weiterer Effekt zur Verbesserung der Spurführung die gezielte Änderung der Seitenführung einer Achse durch die Verteilung der radindividuellen Antriebsmomente. Ein frei momentenverteilendes System wirkt sich durch das zweckmäßige Ausnutzen des Kraftschlusspotenzials und das damit auch besonders über die Hinterachse aktiv beeinflussbare Eigenlenkverhalten positiv auf Traktion, Agilität und Kurvengrenzgeschwindigkeit aus.
Aufbau und Funktionsweise
Nachfolgendes Konzept ist durch die Integra- tion von zwei baugleichen elektrischen Maschinen in ein Differentialgetriebe geprägt (Bild 3). Dabei werden der wirkungsgradgünstige mechanische Durchtrieb erhalten und ein offenes konventionelles Kegelradgetriebe zugrunde gelegt. Beide elektrischen Maschinen, welche jeweils einer der Abtriebswellen zugeordnet sind, können unabhängig voneinander sowohl motorisch als auch generatorisch betrieben werden. Dabei wird durch einen direkten elektrischen Leistungsfluss ein elektromechanisches Überlagerungsgetriebe realisiert.
Die beiden axial angeflanschten elektrischen Maschinen sind topfförmig um die Abtriebswellen angeordnet. So lässt sich deren Innenraum durch die Anbindung der Seitenabtriebswellen in diesem Bereich effizient ausnutzen. Die als Innenläufer ausgebildeten Rotoren sind jeweils direkt mit den seitlichen Differenzialausgängen verbunden. Dabei schaffen zusätzliche stabile Rotorlagerungen die Voraussetzung für einen engen Luftspalt zum Stator. Zwei Dichtungen je Rotor sorgen für die Abdichtung gegen Differenzialgetriebeöl und Umgebung (Bild 4).
Die geringen Raddrehzahlen erlauben die Verwendung eines elektrischen Maschinenkonzeptes, welches sich durch eine große Leistungs- und Drehmomentendichte auszeichnet. In der untersuchten Ausführung, basierend auf einer SUV-Anwendung, könnten bis zu 60 kW maximale elektrische Leistung und 700 Nm maximale Drehmoment in den vorhandenen Bauraum installiert werden. Zur Abführung der anfallenden Wärme ist in Abhängigkeit vom Leistungsbedarf und der Einschaltdauer eine Flüssigkeitskühlung für Stator, Statorträger und Leistungselektronik vorgesehen.
Funktionsweise Torque-Vectoring
Durch die vornehmliche Nutzung des mechanischen Durchtriebs verhält sich die Einheit bei nicht aktivierten elektrischen Maschinen entsprechend den Eigenschaften eines offenen Differenzials. Für die radindividuelle Momentenzuteilung arbeitet eine elektrische Maschine im generatorischen Betrieb und stellt über den elektrischen Leistungszweig der zweiten motorisch arbeitenden Maschine die entsprechende Energie zur Verfügung. Durch die Abstützung des Generators über das offene Differenzial kommt es zu einem zusätzlichen Aufbau an Differenzmoment über den mechanischen Leistungszweig. Unter Verwendung eines Energiespeichers ist ein „Upgrade“ zum parallelen Hybridantrieb durch Betreiben beider elektrischer Maschinen möglich. Dabei wird das Boosten und Rekuperieren in unmittelbarer Radnähe vollzogen, ohne dabei die ungefederte Radmasse zu erhöhen.
Der Ansatz, beliebige Motor-Getriebe-Kombinationen zu übernehmen und zusätzliche Funktionalitäten durch eine nachrüstbare Modularität darzustellen, ist wirtschaftlich interessant. Das Konzept bietet Möglichkeiten für die Integration eines schaltbaren Planetenradsatzes zur Steigerung des elektrischen Momentes im unteren Geschwindigkeitsbereich. Eine Übersetzung zwischen elektrischer Maschine und Abtriebswelle von etwa 2,5 bis 3 kann das maximale mögliche Torque-Vectoring-Moment und das Zugkraftpotenzial zum Boosten und Rekuperieren um den genannten Übersetzungsfaktor im unteren Drittel des Geschwindigkeitsbereiches erhöhen. Damit ist eine Option für das rein elektrische (An-)Fahren gegeben. Die Struktur birgt durch Entfall der konventionellen Differentialkomponenten auch die Basis für die rein elektrische Achse in sich.
Längsdynamik und Hybridfunktionalitäten
Abhängig von Fahrzeug, Energiespeicher und Betriebsstrategie zeigen Simulationen im europäischen Fahrzyklus ein wesentliches Kraftstoff-Einsparpotenzial. Die sich an der Hinterachse befindlichen elektrischen Maschinen erlauben die Darstellung der Hybridfunktionalitäten: Rekuperation, elektrisches Fahren, Lastanhebung und Boosten. Das Simulationsmodell, welches mit dem IAV-Simulationstool „Velodyn“ aufgebaut und auf Basis eines SUV mit einem 3,0 l-Dieselmotor (160 kW/500 Nm) und einem 6-Gang-Automatikgetriebe parametrisiert wurde, berücksichtigt hier nur die Längsdynamik. Die Komponenten liegen als Kennfeldmodelle vor, wobei das dynamische Verhalten des Triebstrangs mit berücksichtigt wird. Die Betriebsstrategie priorisiert die unterschiedlichen Betriebsfunktionen. Parametervariationen sollen den Einfluss der verschiedenen Komponenten auf das Verbrauchs-Einsparpotenzial verdeutlichen und Hinweise auf mögliche Dimensionierungen geben.
Betrachtet man den Gesamtverbrauch für ein Fahrzeug mit 9,4 l/100 km, steigt mit geringerer elektrischer Maschinenleistung der Verbrauch, weil das Fahrzeug mit geringerer Leistung weniger elektrisch unterstützt wird und der Verbrennungsmotor den fehlenden Leistungsbedarf kompensieren muss. Mit zunehmender elektrischer Leistung wird die Grenze der maximalen rekuperierbaren Energie erreicht, so dass kein weiterer Verbrauchsvorteil erzielt werden kann. Die Sättigung wird ab circa 40 kW (2 x 20 kW) installierter elektrischer Leistung erkennbar.
Simulation und Auslegung der Querdynamik
Zur Darstellung des fahrdynamischen Poten- zials des aktiven Hinterachsdifferenzials sind in einer Gesamtfahrzeugsimulation drei verschiedene Standard-Fahrmanöver im A-B-Vergleich (geregelt/ungeregelt) bewertet worden. Als Simulationsumgebung diente ein bedatetes und teilvalidiertes „Ve-Dyna“-Fahrzeugmodell, welches in seinen Eigenschaften einem gebräuchlichen SUV entspricht. Neben der „Quasistationären Kreisfahrt“ nach ISO 4138 und dem „Lenkwinkelsprung“ nach ISO 7401 wurden die Einflussmöglichkeiten des Torque-Vectoring in der Querdynamikbewertung nach FMVSS 126 untersucht.
In den ersten beiden Manövern werden ein optimiertes Eigenlenkverhalten und eine stark verbesserte Agilität nachgewiesen. Dabei macht sich das prinzipbedingt schnelle Ansprechverhalten der elektrischen Maschinen besonders wirkungsvoll bemerkbar. In der FMVSS 126 sind fahrdynamische Grenzkriterien definiert, innerhalb derer sich ein Fahrzeug bewegen muss, um als hinreichend fahrstabil zu gelten. Dieser Versuch bestätigt deutlich das Potenzial, wie sich mit aktiv geregeltem Hinterachsdifferenzial das Übersteuern reduzieren lässt und so mehr Fahrsicherheit bietet. Auf Basis dieses Fahrmanövers wurde eine Simulationsreihe mit steigenden Leistungen/Drehmomenten der E-Maschinen durchgeführt. Als einfaches Gütekriterium zur Bewertung des E-Maschineneinflusses auf die Fahrstabilität beziehungsweise Spurtreue wurde jeweils das Integral der absoluten Gierwinkelabweichung über die Versuchsdauer berechnet und – wie in Bild 5zu sehen – aufgetragen. Bereits mit kleineren (2 x 230 Nm) E-Maschinen werden ca. 80 % des Gesamtpotenzials ausgeschöpft.
IAV; Telefon: 0371/2373-4340;
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