Der Fahrzeugmarkt ist der bedeutendste Abnehmer für technische Textilien. Deutsche Hersteller haben einen Weltmarktanteil von 23 %. Die technischen Textilien sorgen im Pkw schließlich mit dafür, dass die Fahrzeuge immer leichter werden. Daher soll der faserbasierte Werkstoffanteil bald von 25 kg auf 30 bis 35 kg steigen. Zahlreiche Konstrukteure, Designer und Einkäufer werden deshalb die Techtextil in Frankfurt am Main besuchen. Auf der Leitmesse für technische Textilien und Vliesstoffe (4. bis 7. Mai 2015) präsentieren allein 600 Aussteller ihre Neuheiten für den Anwendungsbereich Mobiltech, einsetzbar vom Pkw-Innenraum über den Karosseriebau bis hin zu Ausrüstungen für Sicherheitsfahrzeuge.
Der Autor: Marc Chalupsky, Referent Media Relations Textil- und Bekleidungsfachmessen, Messe Frankfurt Exhibition GmbH, Frankfurt am Main
Wer auf der Materialseite nur auf die Visionen und Lösungen der Textilbranche in Form funktionalisierter Fasern bzw. textiler Leichtbauverbünde schaut, wird über die Vielfältigkeit des Inputs für Gestalter, Produzenten und Nutzer des Autointerieurs womöglich überrascht sein. Die faserbasierte Materialfülle allein für den Pkw-Innenraum mit immer neuen Zusammensetzungen, Beschichtungen und Eigenschaften ist groß. In einigen Jahren könnten vollkommen neue Produkte wie textile Displays, Textilien mit Farbwechsel und Selbstreinigungsfunktion, energiespeichernde Flächen, selbstheilende Strukturen oder reaktive Schutztextilien entstehen. Zwei interessante Innovationen kommen in diesem Zusammenhang aus Mönchengladbach und Aachen.
Schmutzschutz für leuchtende Fahrzeughimmel
Mönchengladbach gilt als textiler Traditionsstandort – als Inputgeber für den Automotive-Bereich bislang eher kaum. Dies zu ändern, ist Ziel etlicher Entwicklungsprojekte des Fachbereichs Textil- und Bekleidungstechnik (FTB) der Hochschule Niederrhein. Das FTB entwickelte eine neue Funktionsausrüstung, mit der sich intensiv strapazierte textile Flächen im Pkw-Innenraum dauerhaft gegen sogenannten Nassschmutz wappnen lassen.
Basis des Reinigungserfolgs, der mehr helle Stoffe und damit ein angenehmeres Raumgefühl zwischen Kühlerhaube und Kofferraum ermöglichen soll, sei eine nassschmutzabweisende Ausrüstung etwa von Sitzbezügen. So könnte der Flüssigschmutz gar nicht erst in das Gewebe eindringen und lässt sich mit einem saugfähigen Tuch problemlos entfernen.
Die FTB-Projektverantwortliche Kristina Klinkhammer verweist auf die nachgewiesene hohe Beständigkeit der gesundheitlich unbedenklichen Ausrüstung auf Sitzpolstern: Dank Silankomponenten in der Gewebeausrüstung sei der Clean-Effekt im Dauertest selbst nach 20 000-facher mechanischer Malträtierung mittels einer Art Scheuerautomat erhalten geblieben. Vorteilhaft auch: Durch den Einsatz der Silane lasse sich die nötige Menge an Fluorcarbonen zur Schmutzabweisung im Vergleich zu herkömmlichen Lösungen erheblich reduzieren.
Deutlich trockener, aber nicht minder hartnäckig kommt die Schmutzgefahr für textile Dachhimmel oder Verkleidungen der diversen Fahrzeugsäulen einher: Ihnen droht vor allem Vergrauung durch Straßenstaub. Hier entwickelten die FTB-Experten einen Schutzmechanismus auf Basis von Kieselsäure, Aluminiumoxid oder selbst synthetisierter Silika-Partikel im Nano- und unteren Mikrometerbereich. Auch ein passendes Bindesystem fanden die Mönchengladbacher. Von solcherart präparierten Oberflächen lasse sich typischer Trockenschmutz mit einem klassischen Staubsauger stressarm, ohne chemische Keule und nahezu restlos entfernen, so Klinkhammer. In beiden Fällen prüfen die beteiligten Industriepartner nun, wie sich die Forschungsergebnisse produktionspraktisch in die Autos transferieren lassen.
Heizung und Lampen aus Stoff
Optische Wirkung und praktischen Nutzen sollte auch ein anderes, für die Automobilindustrie interessantes Hochschulvorhaben kombinieren. Sein Ziel: die Entwicklung neuartiger textiler Heiz- und Beleuchtungselemente. Gemeinsam mit Industriepartnern beschichteten die Hochschulforscher vom Niederrhein textile Flächenelektroden mit speziellen Kunststoffpasten, die über eigene elektrische Leitfähigkeit verfügen. So können beispielsweise der Fahrzeughimmel oder Autositze in sanftem Licht erstrahlen. Auf diese Weise ließen sich Sitz-, Fuß- oder Seitenverkleidungsflächen ohne vorherige Einarbeitung leitfähiger Garne beheizen – und das mit minimalem Energieaufwand. Projektleiterin Evelyn Lempa betont, der Technologiesprung für die Branche sei beachtlich, denn der Konstruktion und Gestaltung textiler Trägermaterialien seinen nun „keine Grenzen mehr gesetzt“.
Neues Carbon-Parkett für automobile Zierleisten
Der Textilforscher Mesut Cetin ist Spezialist für 3D-Preforms, er gilt im ITA Institut für Textiltechnik als Vater des Carbon-Parketts. Seine Hightech-Kacheln für Fußböden, automobile Zierleisten oder gar für Heizzwecke sind ein neues Designmaterial für Exterieur-/Interieuranwendungen. In Farbe, Haptik und Optik auf Kundenwunsch individuell anzufertigen, besteht die Neuentwicklung zu 95 % aus recyceltem Fasermaterial aus der Automobilindustrie. Das Material im Look von Holzoptik ist langlebig, chemisch beständig und äußerst robust.
Carbon-Parkett mit lichtleitenden Fasern an der Oberfläche leuchtet punktuell. Es könnte im Automobil-Interieur etwa als Zierleiste mit Beleuchtung eingesetzt werden. Da verschiedene Materialien kombiniert werden, gibt es hinsichtlich Farbe, Maserung, Muster und Geometrie keine Beschränkung. Das ermöglicht eine kundenindividuelle Produktgestaltung. „Wir können im Zusammenspiel von Glasfaservlies und Carbonfasern als Verstärkungstextilien nicht nur holzähnliche Maserungen imitieren, sondern auch Jahresringe und Astlöcher nachbilden“, sagt Cetin.
Neben der Leuchtfunktion könnte in das zum Patent angemeldete Parkett auch eine Touch- sowie Heizfunktion integriert werden. Das ermögliche beispielsweise bei der Automobilzierleiste im Bereich Heizung, dass man durch eine Wisch-Geste an der Leiste eine Farbveränderung von ‚blau = kalt‘ hin zu ‚rot = warm‘ herbeiführen kann und parallel spürt, wie es im Auto wärmer wird.
Weil es bislang nur wenige Kacheln aus Carbon-Parkett als prototypische Beratungsmuster gibt, plant Mesut Cetin ein Spin off, also ein eigenes Unternehmen. „Das könnte erstmal langsam neben meinem Job als Abteilungsleiter anlaufen. Sobald es nennenswerte Nachfrage nach Carbonparkett gibt, werden wir auch Investitions- und Produktionspartner für das neue Unternehmen benötigen“, sagt Cetin.
Techtextil: Zentrum für autombile Innovationen
Das Messeduo Techtextil und Texprocess bietet vom 4. bis 7. Mai 2015 in Frankfurt/Main als global führende Innovationsplattform für technische Textilien, Vliesstoffe und die Verarbeitung von textilen und flexiblen Materialien speziell auch für den Automotive-Sektor viel Neues. Rund 600 Aussteller bedienen mit ihren Produkten den Bereich Mobiltech, nach Indutech traditionell das zweitgrößte von insgesamt zwölf Anwendungsbereichen auf der Techtextil, die 2015 erstmals vier Ausstellungstage hat.
ITA: Stand D05, Halle 3.0
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