An moderne Reifen wird eine Vielzahl von Anforderungen gestellt. Neben Eigenschaften, wie Komfort, Fahrdynamik, Bremsverhalten auf nasser Fahrbahn sowie Lebensdauer ist dabei der Rollwiderstand in den Mittelpunkt ökologischer und ökonomischer Betrachtungen gerückt. Die europäische Reifenindustrie arbeitet intensiv daran, ihre Produkte auch im Hinblick auf den Umweltschutz ständig und nachhaltig zu verbessern, warnt aber gleichzeitig vor einer einseitigen Ausrichtung zu Lasten der Sicherheit.
Die Einführung von Grenzwerten und eine Klassifizierung des Rollwiderstandes von Pkw-Reifen wird zur Zeit im Rahmen der geplanten EU-Gesetzgebung zur Senkung der CO2 Emissionen von Pkw diskutiert.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es derzeit 47 Mio. Pkw die jährlich 106 Mio. t CO2 emittieren und damit einen Anteil von 11,9 % an den gesamten CO2-Emissionen der Bundesrepublik haben. Ökobilanzen, bei denen über den gesamten Lebensweg des Produktes alle Verbräuche, Emissionen und Abfälle registriert und in Wirkungskategorien zusammengefasst werden, zeigen, dass bei herkömmlichen Pkw-Reifen in der Nutzungsphase etwa 90 % der Beiträge zu den Wirkungskategorien anfallen. In Litern Erdöl ergibt die Energiebilanz eines Standardreifens Aufwendungen in Höhe von 20 l für Material und Herstellung, 1 l für anfallende Transporte, 200 l für Nutzung (Rollwiderstand) und durch die abschließende thermische Verwertung eine Rückgewinnung von 6 l, also pro Reifen 215 l.
Wird der Kraftstoffverbrauch eines Pkw nach Fahrwiderständen aufgeteilt, so ergibt sich ein Anteil von etwa 21 % für die Reifen. Welches Kraftstoffeinsparpotenzial und damit verbunden, welche CO2-Reduzierung durch Rollwiderstand optimierte Reifen zu erreichen ist, zeigt das Beispiel einer 10 %igen Verbesserung des Rollwiderstandes von Pkw Reifen. Diese bedeutet für einen Pkw eine Kraftstoffersparnis von etwa 0,08 l/100 km und Reduzierung der CO2 -Emissionen um etwa 2 g/km. Bezogen auf alle Reifen und Pkw in Deutschland wäre dies eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 1,4 Mio. t pro Jahr also rund 1,3 %.
Eigenschaftsanforderungen an Reifen
Reifen sind sehr komplexe Fahrzeugkomponenten, die eine Vielzahl von Eigenschaftsanforderungen bezüglich Sicherheit, Ökonomie, Ökologie und Komfort abdecken müssen. Da diese aufgrund physikalischer und chemischer Gesetzmäßigkeiten untereinander in einem Zielkonflikt stehen, ist die Erzielung eines guten Allround-Eigenschaftsprofils bei einem Reifen immer nur im Rahmen eines ausgewogenen Kompromisses möglich. Ein Reifen kann nicht gleichzeitig hervorragende Nassbremseigenschaften haben, nahezu geräuschlos abrollen, einen so niedrigen Rollwiderstand haben, dass das Fahrzeug kaum Kraftstoff verbraucht und zudem auch noch ein Fahrzeugleben halten. Dies bedeutet, dass eine einseitige Auslegung von Reifen im Hinblick auf die Optimierung einer Eigenschaft zu Veränderungen des gesamten Eigenschaftsprofils führt und es hierbei für einzelne Eigenschaften durchaus zu Leistungseinbußen kommt.
Gegenüber der ausgewogenen Abstimmung der Eigenschaften eines Referenzreifens führt die gezielte Optimierung eines vergleichbaren Reifens im Hinblick auf geringen Rollwiderstand, bei der gleichzeitig eine Laufleistungsverbesserung erzielt wird, zu einer signifikanten negativen Beeinflussung der sicherheitsrelevanten Nässeeigenschaften.
Tests zur Verdeutlichung dieses Zielkonfliktes mit entsprechend ausgelegten Reifen haben gezeigt, dass ein Fahrzeug mit den Rollwiderstand optimierten Reifen bei Bremsversuchen aus einer Geschwindigkeit von 100 km/h einen um 8 m längeren Bremsweg gegenüber dem mit den Referenzreifen ausgestatteten Fahrzeug hat. Das Fahrzeug mit den schlechter bremsenden, weil einseitig auf Rollwiderstand ausgelegten Reifen zum Zeitpunkt, wenn der Wagen mit den ausgewogenen Reifen bereits zum Stillstand gekommen ist, hat somit immer noch eine Restgeschwindigkeit von 35 km/h.
Geplante Reifengesetzgebung der EU
Im Zuge der geplanten EU-Gesetzgebung zur Begrenzung der CO2-Emission von Fahrzeugen ist auch eine Vorschrift zur Regulierung wichtiger Reifeneigenschaften geplant. Konkret wird daran gearbeitet, eine Klassifizierung des Reifen-Rollwiderstandes, neue Mindestgrenzwerte für das Reifen/Fahrbahngeräusch und Mindestgrenzwerte für den Nassgriff von Reifen einzuführen. Die Regulierung des Rollwiderstandes soll über ein Bewertungssystem und die Kennzeichnung für den Verbraucher über ein Label am Reifen erfolgen, dessen Details noch diskutiert werden.
Da eine alleinige Regulierung des Rollwiderstandes durch ein Grading/Label aus technischer Sicht nicht sinnvoll ist, hat die Reifenindustrie hierzu einen Gegenvorschlag gemacht. Neben einem Grading für die umweltrelevante Eigenschaft „Rollwiderstand“ wird darin gleichzeitig ein entsprechendes Grading für die sicherheitsrelevante Eigenschaft „Nassbremsen“ und die gemeinsame Kennzeichnung dieser Eigenschaften für den Verbraucher gefordert. Nur so kann ein Kunde ein Produkt auswählen, welches seine Vorstellungen von Reifeneigenschaften erfüllt.
Ein Label mit alleiniger Aussage über die Rollwiderstandseigenschaften könnte zu einer Entwicklung führen, die zum Erreichen einer guten Klassifizierung in diesem Kriterium schlechtere Sicherheitseigenschaften in Kauf nimmt. Dem Kunden würde dabei noch der Eindruck vermittelt, dass er aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Klassifizierung ein gutes Produkt kauft. Gerade in letzter Zeit werden auch in Deutschland Produkte im Markt angeboten, die gute Rollwiderstands- und Geräuscheigenschaften aufweisen, bei den sicherheitsrelevanten Eigenschaften aber versagen. Unabhängige Tests von Fachzeitschriften und Verbänden haben dies deutlich gemacht und auf die Gefahren derartiger Produkte hingewiesen.
Reduzierung des Rollwiderstands
Einflussparameter auf den Rollwiderstand sind neben Mischungen und Konstruktion die Profiltiefe und der Luftdruck. Seit 1990 konnte beispielsweise der Rollwiderstandsbeiwert von Pkw-Reifen von im Mittel 1,4 für einen Reifen der Größe 195/65 R 15 durch Einführung der „Silica“-Technologie bei den Laufstreifenmischungen, durch Intensivierung der FEM-Berechnung und den damit ermöglichten Einsatz neuer Konstruktionen und Materialien auf etwa 0,75 bei Premium-Produkten reduziert werden. Generelle Einflussparameter zur Minimierung des Rollwiderstandes sind eine möglichst geringe Gummimenge, Materialdämpfung und Materialverformung, wodurch sich auch die unterschiedlichen Rollwiderstandsanteile für die verschiedenen Reifenbauteile erklären.
Eine reduzierte Profiltiefe verbessert den Rollwiderstand durch weniger Material in der Lauffläche und damit verbunden geringere Materialverformung. Eine um 1 mm geringere Profiltiefe bedeutet etwa 5 % geringeren Rollwiderstand und damit verbunden eine Verbrauchsreduzierung um 1 %. Unterhalb der Mindestprofiltiefe können zusätzlich Rollwiderstand optimierte Materialien in einer Cap/Base Konstruktion eingesetzt werden.
Durch einen erhöhten Luftdruck kann der Rollwiderstand ebenfalls reduziert werden, denn aufgrund der geringeren Bodenaufstandsfläche findet eine geringere Verformung des Reifens beim Einlauf in die Kontaktzone mit der Fahrbahn statt. Ein um 0,5 bar höherer Luftdruck bewirkt dabei einen um 5 bis 10 % geringeren Rollwiderstand. In Summe sind durch konstruktive und materialtechnische Maßnahmen mittelfristig beim heutigen Reifenkonzept noch bis zu 30 % Rollwiderstandsreduzierung zu erwarten. Weitere zukünftige Ansätze bieten die Entwicklung intelligenter Materialien, Rad-Reifenkonzepte oder auch Pkw-Hochdruckreifen, deren Arbeitsbereich bei Luftdrücken oberhalb 3 bar liegen würde. Hierdurch könnte der Rollwiderstand um bis zu 30 % gesenkt werden. Realisierbar sind derartige Reifen aber nur mit neuen Fahrwerks-Konzepten, die bestimmte Reifenfunktionen durch entsprechende Auslegung übernehmen und diesbezüglich den Reifen zumindest teilweise entlasten können.
Continental;
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