Revolution im Verbrennungsmotor: Ist das möglich? Dieser Hersteller hat die vier Arbeits- takte im Hubkolbenmotor auf zwei Zylinder verteilt und sie für ihre Aufgaben optimiert. Mit der weltweit patentierten Ventil- und Einspritztechnik gelingt die Zündung nach dem oberen Totpunkt und eine besonders saubere Verbrennung. Durch den neuen Motor profitieren Automobilindustrie, Verbraucher und Umwelt gleichermaßen.
Als der italo-amerikanische Ingenieur Carmelo Scuderi vor gut zehn Jahren mit der Entwicklung seines Split-Cycle-Motors begann, wusste er nichts von den ersten Versuchen mit geteilten Taktzyklen, die bereits 1914 stattfanden. Als Spezialist für Thermodynamik wollte er den Verbrennungsprozess im Hubkolbenmotor optimieren: Wirkungsgrad und Leistungsdichte sollten gesteigert sowie Verbrauch und Schadstoffemissionen auf ein Minimum reduziert werden. Seit Ende Juni 2009 läuft der erste Prototyp des Scuderi-Motors und bestätigt, dass im fast schon totgesagten Verbrennungsmotor ein noch ungeahntes ökologisches und ökonomisches Potenzial steckt.
Zündung nach oberem Totpunkt
Der Scuderi-Motor verteilt die vier Takte Ansaugen, Verdichten, Arbeiten und Ausstoßen eines Zylinders im Ottomotor auf zwei separate, paarweise angeordnete Zylinder. Der erste Zylinder dient dem Ansaugen und Verdichten. Anschließend wird die verdichtete Luft durch einen Überströmkanal vom Verdichtungszylinder in den Arbeitszylinder geleitet, in dem Verbrennung und Ausstoß stattfinden. Alle vier Takte erfolgen in einer Kurbelwellenumdrehung. Die Anzahl der Zylinder im Vergleich zu einem Otto-Motor bleibt dabei gleich, da im Scuderi Motor bei jeder Umdrehung gezündet wird.
Der Kolben im Verdichtungszylinder ist plan geschliffen und reicht bis auf 1 mm an den Zylinderkopf heran. Die zwei durch Druckluftventile gesteuerten Einlassventile öffnen nach innen und die durch die Nockenwelle gesteuerten Ventile zu den Überströmkanälen öffnen nach außen, um das Zylindervolumen im Hub zu minimieren. Diese Konstruktion der nach außen öffnenden Tellerventile ermöglicht im Prototypen eine Kompression der Luft auf bis zu 50 bar. Die verdichtete Luft gelangt über die separat steuerbaren Überströmkanäle ohne Pumpverluste in den Verbrennungszylinder. Auch hier öffnen die zwei nockengesteuerten Einlassventile nach außen. Die Einspritzung des Kraftstoffs erfolgt zeitgleich mit dem Öffnen der Einlassventile. Der Scuderi-Saugmotor verwendet Einspritzdüsen, die die Bosch Engineering GmbH eigens für den Motor angepasst hat. Die Hochdruck-Direkteinspritzdüsen arbeiten mit bis zu 200 bar und ermöglichen ein einzigartiges Sprühmuster. Das Zusammenspiel von Sprühmuster, Druck- und Einspritzsteuerung sorgt für ein optimales Kraftstoff-Luftgemisch und verhindert, dass Kraftstoff im Überstromkanal eingeschlossen wird.
Luft mit derartig hohem Druck und dem durch den Überleitungskanal erzeugten Drall sorgt beim Eintritt in den Arbeitszylinder für gute Verwirbelung. Diese wird noch verstärkt, indem die Ventile auch nach Beginn der Verbrennung so lange wie möglich offen bleiben. Darüber hinaus hat der Arbeitskolbenboden eine nierenförmige Vertiefung, die für eine optimale Verteilung des Kraftstoff-Luft-Gemischs sorgt. Das Ergebnis ist eine sehr schnelle Zerstäubung des Kraftstoffs, was zu einer bisher unerreichten hohen Flamm- beziehungsweise Verbrennungsgeschwindigkeit führt. Die Kombination aus hohem Anfangsdruck und hoher Flammgeschwindigkeit ermöglicht einen Verbrennungsbeginn zwischen 11° und 15° nach dem oberen Totpunkt und ein Ende bei 23° nach der Zündung, das heißt in weniger als einer dreißigstel Kurbelwellenumdrehung.
Bis zu 80 Prozent weniger Stickoxide
Da die Flamme in den expandierenden Brennraum zündet, herrscht im Scuderi-Motor zwar eine höhere Durchschnittstemperatur, aber auch eine deutlich geringere Flammen-Spitzentemperatur als in Ottomotoren. Deshalb entstehen bis zu 80 % weniger Stickoxide (NOx) bei gleichzeitig deutlich höherem Wirkungsgrad sowie mehr Drehmoment. Zudem zeigen die aktuellen Tests mit dem Prototypen im Labor des unabhängigen Southwest Research Institute (SwRI) in San Antonio, Texas, einen wesentlich ruhigeren Motorlauf und eine deutlich geringere Lärmentwicklung. Sobald die Entwicklung des Saugmotors Anfang 2010 abgeschlossen ist, werden Scuderi und SwRI die zwei nächsten Ausbauvarianten mit Turbolader und zusätzlichem Druckluftspeicher testen. Mit dem Turbolader wird der im Verdichtungszylinder erzeugte Luftdruck auf bis zu 130 bar gesteigert. Und es wird die Grundlage geschaffen, den Scuderi-Motor zu einem Druckluft-Hybrid-Motor auszubauen, der im Schiebebetrieb oder beim Bremsen Energie zurück gewinnt. Ebenfalls 2010 wird die Arbeit an einer Dieselversion aufgenommen, bei der die spezifischen Verbrennungseigenschaften des Scuderi-Prinzips zu einer deutlich geringeren Rußpartikelentwicklung beitragen werden.
Bis zu 50 Prozent weniger CO2
Der Druckluft-Hybrid-Motor wird bis zu 50 % weniger CO2 emittieren sowie eine höhere Leistung und einen besseren Wirkungsgrad haben als alle bisherigen Verbrennungsmotoren. Mit ihm lässt sich die Downsizing-Strategie vieler Hersteller zu einer ungeahnten Perfektion führen: Die Scuderi-Entwickler halten eine Leistung von 140 PS aus nur einem Liter Hubraum für möglich. Dadurch könnten die Motoren kleiner und leichter werden, was sich wiederum positiv auf Verbrauch und Abgasverhalten auswirkt.
Einfache Integration
Ein entscheidender Vorteil für den Erfolg des Motors ist eine einfache Integration in bestehende Prozesse der Automobilfertigung. Der Motor arbeitet mit den herkömmlichen Komponenten der Hersteller- und der Zulieferindustrie. Er fügt sich nahtlos in die bestehenden Liefer- und Produktionsketten ein. Christoph Stürmer, Automotive-Experte und Director of Business Process Management des global agierenden Beratungsunternehmens IHS Global Insight, rechnet daher auch mit großem Interesse bei den Herstellern, vor allem aus Wachstumsmärkten. „Der Verbrennungsmotor wird noch auf zehn bis 15 Jahre das Mittel der Wahl für die individuelle Mobilität sein. Gerade für Schwellenländer stellt die Scuderi-Technologie eine wichtige Alternative dar. Sie könnte dabei helfen, die ökologischen Probleme der Massenmotorisierung dieser Regionen zu bewältigen.“ Bei entsprechend niedrigen Kosten, so glaubt der Automobilexperte, wird dieser Motor auch eine langfristige Perspektive haben. „Vor diesem Hintergrund kommt die Innovation gerade zur richtigen Zeit. Wenn die Hersteller sich beeilen und das Scuderi-Prinzip auf bestehenden Motorfamilien anwenden, könnten sie bereits in drei bis fünf Jahren entsprechende Fahrzeuge auf den Markt bringen.“
Alle gewinnen
Nach Berechnungen der Volkswagen-Gruppe werden Elektrofahrzeuge bis zu 15 000 Dollar mehr kosten als heutige Autos. Für den Scuderi-Motor werden Käufer jedoch nur einen geringen Aufpreis zahlen, der sich durch den geringeren Verbrauch amortisiert; ähnlich wie bei Diesel- gegenüber Benzinmotoren und deutlich weniger als bei einem Hybrid. Dieses Kosten-Nutzen-Verhältnis wird ebenfalls dazu beitragen, dass sich die Technik schnell durchsetzen kann. „Alle gewinnen mit dem Scuderi-Motor“, ist sich Dr. Florian Täube von der European Business School in Oestrich-Winkel sicher. „Wir sehen eine Triple-Win-Situation für Verbraucher, Industrie und Umwelt.“ Der Professor für Wachstumsmanagement ist involviert in den Aufbau des vom VDA und der Industrie unterstützten automobilwissenschaftlichen Zentrums an seiner Hochschule und analysiert die Potenziale des neuen Verbrennungsprinzips. „Mit der Scuderi-Technologie könnte die Industrie ohne Milliardeninvestitionen ihren Flottenverbrauch signifikant reduzieren und ihre Fahrzeuge sauberer machen“, so Täube. Aktuell verhandelt Scuderi mit neun Automobilunternehmen über Lizenzvereinbarungen für die über 250 weltweit geschützten Patente. Automobilexperten gehen davon aus, dass nach Abschluss der Entwicklungsarbeiten am Prototyp erste Hersteller eine Lizenz erwerben.
Scuderi;
Telefon: 069 928 84 97 11;
E-Mail: lutz@scuderigroup.com
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