Abgasturbolader setzen ihren Siegeszug fort. Und das, obwohl sie noch immer im unteren Drehzahlbereich schwächeln. Es stehen aber inzwischen mehrere Optionen zum Stopfen des Turbolochs bereit.
Der Autor: Hartmut Hammer, freier Mitarbeiter der AutomobilKonstruktion
Laut der jährlich von Honeywell aufgelegten Studie Turbocharger Forecast verfügen 2020 rund 47 % aller Motoren weltweit über einen Abgasturbolader (ATL). Insbesondere das rasante Ausbreiten von Dreizylinder-Downsizingmotoren – allein sieben Millionen in den nächsten fünf Jahren – wird das Thema Low-End-Torque aktuell halten.
Naheliegende Lösung ist eine zweistufige Aufladung mit kleinem und großem ATL oder einer Kombination aus Kompressor und ATL, die ab Leerlaufdrehzahl sukzessive für Ladedruck sorgen. Dafür prognostiziert der Ingenieurdienstleister IAV bis 2020 einen Markt von zwei Millionen Einheiten allein bei Dieselmotoren. Allerdings sind solche zweistufigen Lösungen kostspielig und damit eher für große Aggregate (und Fahrzeuge) sowie Leistungskonzepte geeignet. Nicht umsonst hat Volkswagen bei seinen 1,4-Liter-Ottomotoren das zweistufige Konzept mit Kompressor- und Turboaufladung wieder aufgegeben.
Elektrischer Strom statt Abgasstrom
Eine Lösung mit deutlich mehr Charme sind elektrisch angetriebene Turbolader, die Ladedruck unabhängig von der Motordrehzahl und Abgasenergie bereitstellen. Zahlreiche Zulieferer wollen mit selbst entwickelten kleinen elektrischen Verdichtern das Ansprechverhalten der Motoren bei niedrigen Drehzahlen verbessern, bevor dann der größere und etwas trägere ATL für Ladedruck sorgt. So wird Valeo 2016 einen elektrischen Turbolader in Serie bringen, auch KSPG und Borg Warner beispielsweise haben schon elektrische Verdichter präsentiert. Ihnen gemeinsam ist, dass sie innerhalb von 250 Millisekunden Drehzahlen von bis zu 70 000 Umdrehungen erreichen, also praktisch ansatzlos – ohne Umweg über die Abgasstrecke – Ladedruck liefern. Nach Angaben von Borg Warner ist die Kombination aus elektrischem Lader und ATL drei bis vier Prozent effizienter als ein vergleichbarer Motor mit zwei ATL.
Unterschiede gibt es in der Technik. Valeo arbeitet mit einem Reluktanzmotor mit bis zu sieben Kilowatt Leistung, KSPG und Borg Warner setzen auf einen permanent erregten Synchronmotor mit etwa fünf Kilowatt Leistung. Alle E-Motoren sind für die Integration in 12- oder 48-Volt-Bordnetze ausgelegt. Während Borg Warner den optimalen Einbauort des elektrischen Verdichters zwischen Abgasturbolader und Ladeluftkühler sieht, präferiert KSPG die Platzierung zwischen Ladeluftkühler und Drosselklappe. KSPG hat seine Lösung mit einer Wasserkühlung ausgestattet, Borg Warner hingegen verweist auf eigene Untersuchungen, die bei einem 12-Volt-Verdichter die Luftkühlung als ausreichend ansieht. Bei 48 Volt hingegen sei ebenfalls nur eine Wasserkühlung zielführend. Wie der elektrische Verdichter optimal in die Luftstrecke integriert werden kann, hat Mann+Hummel mit einem Ansaugmodul inklusive Ladeluftkühlung und einem elektrischen Verdichter des Kooperationspartners Borg Warner demonstriert.
Nicht ganz aus der Welt ist auch die Idee, einen 48-Volt-E-Lader als einzige Aufladeeinheit zu verwenden, um lang übersetzten Saugmotoren zu mehr Durchzug zu verhelfen. Und Handtmann bringt mit seinem Spirallader eine weitere Variante ins Spiel. Dieser stand vor kurzem bei den doppelt aufgeladenen 1,4-Liter-Ottomotoren von Volkswagen fast vor seinem Serien-Comeback, hätte der OEM nicht das zweistufige Aufladekonzept ad acta gelegt. Daraufhin hat Handtmann den ursprünglich riemengetriebenen Spirallader mit elektromotorischem Antrieb (für 12 und 48 Volt Bordspannung) weiterentwickelt. Angesichts von maximal 12 000 Umdrehungen pro Minute erwartet man ein besseres Hochlaufverhalten als bei elektrischen Turboladern. Allerdings benötigt der elektrische Spirallader mehr Bauraum als diese.
Variabel wie beim Diesel
Eher auf bekannten Pfaden verbessert Bosch Mahle Turbo Systems (BMTS) die Aufladecharakteristik und hat für Ottomotoren ATL mit beweglichen Leitschaufeln entwickelt, die aktuell Abgastemperaturen von bis zu 980 Grad Celsius standhalten sollen. An sich nichts Neues, Porsche setzt solche Turbolader mit variabler Turbinengeometrie schon seit Jahren in seinen Ottomotoren ein, um das Ansprechverhalten im niedrigen Drehzahlbereich zu verbessern. Der etwa 2017 angepeilte Serienstart der variablen BMTS-Otto-Turbolader soll allerdings im Volumensegment erfolgen, sprich: zu deutlich geringeren Kosten. Dies ist nach Angaben von BMTS vor allem durch eine thermische Entkoppelung der Turbine samt Deckscheibe vom Turbinengehäuse gelungen. Zusammen mit der Nutzung des Miller-Brennverfahrens und höher legierten Stählen sei so ein attraktiver Stand-Alone-Turbolader für den Volumenmarkt entstanden. Der zudem auf zweierlei Weise für den Motor appliziert werden könne: erstens zur Steigerung der Nennleistung im oberen Leistungsbereich. Zweitens für ein bis drei Prozent weniger Kraftstoffverbrauch im NEFZ und – der Kreis schließt sich – schnelleres Ansprechen und mehr Low-End-Torque.
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