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„Immer mehr Optionen“

Prof. Dr.-techn. Bernhard Geringer, Vorstand des Instituts für Fahrzeugantriebe & Automobiltechnik an der TU Wien, über Antriebslösungen der Zukunft
„Immer mehr Optionen“

Die gesetzlichen Vorschriften – insbesondere zur CO2-Reduzierung – erfordern teilweise neue Antriebslösungen. Die AutomobilKonstruktion fragte nach bei Prof. Dr.-techn. Bernhard Geringer, Vorstand des Instituts für Fahrzeugantriebe & Automobiltechnik an der TU in Wien, welche Erkenntnisse er daraus zieht.

Das Interview führte Jürgen Goroncy, freier Mitarbeiter der AutomobilKonstruktion

Welche Trends bestimmen die Antriebstechnik in den nächsten Jahren?
Das Wichtigste ist wohl die Bestätigung, dass das Portfolio der Antriebstechnik zukünftig deutlich breiter aufgestellt sein wird. Das gilt sowohl für den klassischen Verbrennungsmotor als auch für die unterschiedlichen Lösungen der Elektromobilität von den verschiedenen Hybridvarianten über die reinen E-Antriebe bis zur Brennstoffzelle. Es wird in den nächsten Jahren – ja Jahrzehnten – kein radikaler Wechsel stattfinden, sondern die unterschiedlichen Antriebslösungen werden parallel zueinander auf dem Markt existieren. Unklar sind alleine die jeweiligen Anteile; diese werden vor allem vom Technologiefortschritt und insbesondere von den politischen Rahmenbedingungen entschieden.
Was bedeutet die Vielfalt für die Lieferanten?
Die F+E Aufwendungen werden noch stärker steigen, da zusammen mit den OEMs deutlich mehr unterschiedliche Antriebsvarianten zur Serienreife entwickelt werden müssen. Es reicht nicht mehr aus, nur den Verbrennungsmotor zu optimieren – obwohl das natürlich wegen der hohen Stückzahl von Verbrennungsmotoren auch eine wichtige Aufgabe ist und bleibt. Es kann sich kein Lieferant leisten, eine Option nicht intensiv zu bearbeiten. Alles in allem, eine enorme Herausforderung mit extrem hohem finanziellem Aufwand.
Um das BEV ist es im Moment sehr ruhig. Ist das ausschließlich elektrisch angetriebene Auto schon wieder tot, ehe es einen nennenswerten Markterfolg verbuchen konnte?
Das sehe ich nicht so. Es kommt darauf an, auf welche politisch motivierten Randbedingungen das BEV trifft. In Megacitys und Ballungsräumen wird die lokal emissionsfreie Fahrt zukünftig sehr wichtig sein. Auch die Batterieentwicklung geht rasant weiter und die Marktdurchdringung mit BEVs wird sich wahrscheinlich mit der zweiten Generation der E-Fahrzeuge wieder deutlich erhöhen, oder wenn die Hoffnung auf das 2×2-Versprechen erfüllt wird. Also doppelte Energiedichte bei halbem Preis der Batterie.
Wie sieht ein zukunftsfähiger Antriebsstrang aus?
Ganz einfach, der optimale Antriebsstrang hat die geringsten CO2-Emissionen und ist preislich konkurrenzfähig. Ebenso erwartet der Käufer hinsichtlich Alltagstauglichkeit ein Fahrzeug mit ähnlichem Verhalten wie bisher. CO2-Freiheit erfüllt sowohl Strom als auch synthetischer Kraftstoff immer dann, wenn er aus einem geschlossenen CO2-Kreislauf stammt. Allerdings muss dann natürlich die Betrachtung von der Quelle bis zum Rad reichen. Alle anderen CO2-Bilanzen sind nicht statthaft und verwirren nur die Öffentlichkeit. Es macht wenig Sinn, das Elektrofahrzeug zu propagieren und dann mit Strom aus einem Kohlekraftwerk zu fahren. Regenerierbarer Strom, Bio- und E-Gas bieten da künftig gute Chancen.
Welches Potenzial bietet noch der Verbrennungsmotor?
Auf Basis üblicher Fahrprofile haben die heutigen Ottomotoren einen Wirkungsgrad von 25 bis 30 Prozent im üblichen Fahrbetrieb und im Bestpunkt von etwa 35 Prozent. Mit Reibungsreduzierung, Thermomanagement und noch mehr Variabilität in unterschiedlichen Bereichen kann der Wirkungsgrad von Ottomotoren bis auf mehr als 40 Prozent im Bestpunkt erhöht werden. Der neue 1,8-l-Motor im Toyota Prius ist mit 40 Prozent ein gutes Beispiel dafür. Auch der neue EA 211 von Volkswagen hat mit etwa 39 Prozent schon eine sehr gute Effektivität. Wichtig ist dabei, dass größere Bereiche im Kennfeld die hohe Effizienz aufweisen. Bei Pkw-Dieselmotoren werden bald mehr als 45 Prozent realistisch sein. Mehr als 50 Prozent kann ich mir gegenwärtig für Fahrzeugmotoren nicht vorstellen.
Welche Rolle spielt künftig der Kraftstoff?
Der Kraftstoff ist ein sehr wichtiges Betriebsmittel. Unterschiedliche Alternativen zu fossilem Mineralöl sind sowohl im Labor als auch großtechnisch verfügbar, allerdings noch nicht zu den Kosten wie Kraftstoff aus Mineralöl. Die technischen Vorteile im Motor wie eine fast vollkommene Verbrennung oder hohe Wirkungsgrade bei Ottomotoren sind gegeben, damit könnte man fast emissionsfrei fahren, aber die Wirtschaftlichkeit spielt beim Kraftstoff eine sehr große Rolle. Wenn der Kraftstoff aus einem geschlossenen CO2-Kreislauf stammt, dann hätte er wohl künftig eine hohe Chance auf den Serieneinsatz, da er die bestehende Tankstellen-Infrastruktur nutzen kann und den großen Vorteil der hohen Energiedichte der chemischen Energieträger auf Kohlen-Wasserstoffbasis bietet.
Warum ist Erdgas immer noch eine Randerscheinung? Der Preis von CNG ist wettbewerbsfähig.
Das ist einerseits immer noch eine Frage der Infrastruktur. Obwohl in Deutschland und Österreich ein vernünftiges Netz an Tankstellen existiert. Andererseits kommt ein psychologischer Aspekt hinzu, viele Menschen haben Angst sowohl vor dem Gas als auch vor dem ungewohnten Tankvorgang. Außerdem ist das Modellangebot für die Verbraucher nicht befriedigend. Technisch bietet CNG vor allem im monovalenten Betrieb fast nur Vorteile. Bio- und E-Gas sind ein großer Schritt in Richtung geschlossener CO2-Kreislauf beim Kraftstoff.
Sie hatten die höhere Variabilität im Motor angesprochen. Wie schätzen Sie die variable Verdichtung ein?
Die Chance für einen Serieneinsatz war nie so groß wie jetzt. Um den Wirkungsgrad – insbesondere in Ottomotoren – deutlich zu erhöhen, muss die Verdichtung des Motors der Drehmomentanforderung des Fahrers angepasst sein. Bisher war aus unterschiedlichen Gründen kein Lösungsansatz serienreif, da auch die Energiebilanz durch die hohen Verstellkräfte im besten Fall ein Nullsummenspiel war, von der Dauerhaltbarkeit und auch den Kosten ganz zu schweigen. Durch bessere Aktuatorik und schnellere Regelkreise steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass bald Aufwand und Nutzen im Einklang steht. Die Zweipunktverstellung, die kürzlich von einem Entwicklungsunternehmen vorgestellt wurde, bietet bereits gute Ansätze. Die Möglichkeit, den Bereich der guten bis sehr guten Effizienz zu erweitern, ist gegeben, allerdings müssen noch einige Herausforderungen bezüglich Gewicht, Kosten und Lebensdauer gelöst werden. Das dauert wohl drei bis vier Jahre.
Ist der Plug-in-Hybrid mit etwa 50 Kilometer elektrischer Reichweite bei Kosten, Masse und Abgas die bessere Alternative zu BEV, Range-Extender oder Dieselmotor?
Ich bin Befürworter dieser Lösung, da sie viele Vorteile im städtischen Bereich und auch bei gelegentlicher Langstrecke bietet. Außerdem ist die Reichweitenangst nicht existent im Gegensatz zum BEV und es steht – anders als beim Range-Extender – ein vollwertiger Verbrennungsmotor zur Verfügung. Allerdings wird für den Vielfahrer der Dieselmotor noch lange die erste Wahl sein. Wirkungsgrad und Reichweite sind bisher unschlagbar, die Vorteile vom Plug-in-Hybrid treten mit der Länge der Fahrstrecke in den Hintergrund.
Über die Brennstoffzelle wird immer wieder diskutiert. Wann erwarten Sie einen Durchbruch dieser Antriebstechnik?
Die Brennstoffzelle wird sicherlich mittelfristig nicht der Mainstream in der Antriebstechnik. In 10 bis 15 Jahren wird sie vielleicht einige wenige Prozentpunkte Marktanteil erobert haben. Die Alltagstauglichkeit haben einige Automobilhersteller bereits bewiesen. Allerdings ist das Tankstellennetz extrem dünn. Für den Erfolg der Brennstoffzelle sind zwei Punkte entscheidend: Wie entwickelt sich die Antriebsbatterie besonders bei Kapazität und Kosten und können sich synthetische Kraftstoffe auf dem Markt durchsetzen? Diese Parameter sind bisher nicht geklärt und deshalb ist es heute fast unmöglich, den Markterfolg der Brennstoffzelle seriös zu prognostizieren.
TU Wien, Institut für Fahrzeugantriebe und Automobiltechnik, info@ifa.tuwien.ac.at

Zur Person
Prof. Dr. techn. Bernhard Geringer (57) hat an der TU Wien allgemeinen Maschinenbau studiert. Nach der Promotion 1985 am damaligen Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Kraftfahrzeugtechnik bei Prof. Lenz arbeitete er vier Jahre in der Vorentwicklung von Pkw-Motoren bei Mercedes-Benz in Stuttgart. Danach schloss sich eine Tätigkeit bei Steyr-Daimler-Puch (nunmehr Magna) in der Fahrzeugentwicklung an. Im Jahre 2002 nahm er den Ruf der TU Wien an, dort leitet er als Vorstand das Institut für Fahrzeugantriebe & Automobiltechnik.
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