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Vom Sorgenkind zum Musterknaben

Gelungenes Comeback: Magnesium im Automobileinsatz
Vom Sorgenkind zum Musterknaben

Moderne Werkstoffe für den Automobilbau müssen leicht, widerstandsfähig und kostengünstig sein. Deshalb rücken wieder alte Bekannte wie Magnesium nach ganz oben auf die Agenda. Obwohl um rund ein Drittel leichter als Aluminium war es über Jahre hinweg nicht der Renner im Automobilbau. Es wurden zwar schon Motorblöcke und Getriebegehäuse des VW-Käfers aus einer Mg-Si-Legierungen gefertigt, doch die Verarbeitung des Metalles galt bislang als schwierig. Aber: Inzwischen hat sich vieles geändert.

Der Autor Hans-Ulrich Tschätsch ist freier Fachjournalist in Oberhausen

Die treibende Kraft für die Wiederentdeckung von Magnesium als Strukturwerkstoff ist wieder einmal der Fahrzeugbau, weil sich die Ingenieure dort ständig mit immer neuen Forderungen nach noch mehr Energieeffizienz, noch weniger Emissionen und noch mehr Wirtschaftlichkeit auseinander setzen müssen. Es sind jedoch nicht nur die Wissenschaftler in den Automobil- und Luftfahrtkonzernen, die sich an die Arbeit machten. Auch an Hochschulen, in Forschungsinstituten und bei den Automobilzulieferern wurde intensiv nach neuen Möglichkeiten gesucht, Magnesium für einen breiteren Einsatz zu optimieren. Einen längeren Hebel haben die Wissenschaftler nun mit neuen Verfahren in der Hand, um bei der Produk- tion von Magnesiumblechen mehr Wirtschaftlichkeit und akzeptable Preise zu erzielen.
Flächiges aus Magnesium
Bislang wurde Magnesium nur gegossen, um Fahrwerksteile, Getriebegehäuse oder um Motorblöcke in Serie zu fertigen. Doch schon bald ist damit zu rechnen, dass flächige Karosserieteile hergestellt werden können. Die Fachleute sind sich einig: Auf diese Weise kann viel Gewicht einspart werden. Voraussetzung ist allerdings, dass die erforderlichen Magnesiumbleche wirtschaftlich hergestellt werden können. Magnesiumblech wird überall dort angewendet, wo an ein äußerst leichtes Material hohe Festigkeitsanforderungen gestellt werden. Mit diesen Eigenschaften hat Magnesium sowohl im kalten als auch insbesondere im erwärmten Zustand gegenüber Kunststoffen große Vorteile. Bauteile mit einer deutlich geringeren Wandstärke sind nun möglich. Versuche zeigen, dass durch den Austausch von Kunststoff gegen Magnesium eine Gewichtsreduzierung von bis zu 40 % erzielbar ist. Gegenüber Kunststoffen hat Magnesium zusätzlich den Vorteil auch im lackierten Zustand noch zu 100 % recyclebar zu sein. Im Vergleich zu Magnesiumdruckguss sind mit Blechmaterial auch große und dünnwandige Bauteile mit einer gleichzeitig homogeneren und glatteren Oberfläche realisierbar.
Warmwalzwerk für Magnesiumbleche
Wo kommen nun aber diese Magnesiumbleche her? Ein Produktionsstandort ist Sachsen, wo die TU Bergakademie Freiberg und die MgF Magnesium Flachprodukte GmbH (Tochtergsellschaft der Thyssenkrupp Steel Europe AG) ein Warmwalzwerk für Magnesium aufgebaut haben. Betreiber der innovativen Produktionslinie für Magnesium-Flachprodukte ist das Institut für Metallformung in Freiberg. Prof. Dr. Bernd Meyer, Rektor der TU, erklärte anlässlich der Inbetriebnahme: „Die Nutzung von Magnesium ist auch vor dem Hintergrund einer auf Nachhaltigkeit orientierten Ressourcenstrategie von wesentlicher Bedeutung.“ Auch bei Thyssenkrupp ist man davon überzeugt, dass Magnesium für effiziente Leichtbau-Lösungen in immer mehr Industriezweigen eine bedeutende Rolle spielen wird. Deshalb auch das Engagement des Konzerns, um die technologische Grundlagen für Erfolge in einem Markt der Zukunft zu erarbeiten. Dr. Hans-Peter Vogt, Geschäftsführer von MgF, fasst zusammen: „Vor allem in den Bereichen Leichtbau und Mobilität können Magnesium-Flachprodukte in zahlreichen Anwendungen substanzielle Beiträge leisten.“
Federführend bei der Freiberger Magnesiumforschung ist Professor Rudolf Kawalla, Direktor des Instituts für Metallformung an der TU Bergakademie: „Das Warmwalzwerk ist für unsere Forschung ein wesentlicher Fortschritt, um Magnesium zu einem Werkstoff für den alltäglichen Gebrauch zu entwickeln“. Neben dem Fahrzeugbau können Magnesiumbleche auch im Maschinen- und Anlagenbau und in weiteren Industriebereichen, in denen es auf Leichtbau ankommt, eingesetzt werden. Für Thyssenkrupp Steel Europe sind die Magne- sium-Aktivitäten eine Ergänzung der Produktpalette im Bereich intelligenter Leichtbau-Werkstoffe, mit denen das Unternehmen unter anderem im Automobilbau erfolgreich ist.
Grundlage für die Produktion von Magnesiumblechen ist eine so genannte Gießwalzanlage mit der flache Bänder direkt aus geschmolzenem Magnesium herstellt werden können. Dieses Verfahren ist äußerst kostengünstig, vor allem, weil es mit deutlich preiswerteren Vorprodukten, geringerem Material- und Energieverbrauch sowie weniger Fertigungsschritten auskommt als die konventionelle Magnesiumblech-Fertigung.
Das neue Walzgerüst verwandelt die 4 bis 7 mm dicken Magnesiumbänder aus der Gießwalzanlage in rund 1 mm dünnes Magnesiumblech. Damit schafft es die Voraussetzungen dafür, dass das Magnesiumband zum Beispiel für Automobil-Karosserieteile eingesetzt werden kann. Die Anlage verarbeitet bis zu 2 t Magnesiumvorband pro Stunde bei einer Walzgeschwindigkeit von mehr als 80 m/min.
Auch im Helmholtz-Zentrum Geesthacht ist die Erforschung von Magnesium und seinen Anwendungen ein großes Thema. Neben der Suche nach neuen Legierungsrezepten für den Magnesium-Druckguss steht auch hier das Handling von Magnesium-Blechen ganz oben auf Liste der Forschungsthemen. Auf dem Gelände des Instituts für Werkstoffforschung wurde deshalb für mehr als 7 Mio. € eine neue Halle mit einer Magnesium-Gießwalzanlage aufgebaut. Mit den neuen Anlagen sollen Magnesiumbleche und deren Anwendungen gründlich erforscht werden. Damit wird der sehr erfolgreich arbeitende Zweig des Geesthachter Instituts für Werkstoffforschung, das Magnesium Innovation Centre (Magic) weiter aufge- wertet.
Neue Hochleistungs-Legierung
Weil aber auch die Zusammensetzung der Magnesiumlegierungen stimmen muss, wird hier im Norden Deutschlands versucht, hitzebeständigere Magnesiumlegierungen zu entwickeln. Inzwischen hat man heraus gefunden, dass sich als neue Legierungszusätze zum Beispiel Elemente der Seltenen Erden wie Cer oder Lanthan eignen. Und es sieht nach Aussage der Forscher in Geesthacht ganz so aus, als ob diese Legierungen schon in den nächsten Jahren in den Fahrzeugbau Einzug halten werden. Doch die Experten suchen nicht nur nach neuen Formeln für die notwendigen Legierungen, sondern auch nach neuen Produk- tionstechniken. Auch hier ist man zu der Überzeugung gelangt, dass Gießen nicht alles sein kann. Der Leiter des Magic, Prof. Dr.-Ing. Karl U. Kainer: „Für viele Anwendungen aber ist es vorteilhaft, Bleche aus Magnesium herzustellen, um sie anschließend in die gewünschte Form zu bringen, etwa für einen Autositz. Das Problem: Derzeit ist ein Magnesiumblech zwei bis dreimal teurer als ein Alublech.“ Deshalb arbeiten Kainer und seine Kollegen an einem Verfahren, bei dem man das Magnesium nicht mehr bis zu 40 Mal, sondern nur noch dreimal walzen muss, bevor man ein Blech in den Händen hält. Das würde die Fertigung deutlich billiger machen.
Helmholtz-Zentrum Geesthacht; Telefon: 04152 87-1710; E-Mail: maren.menzel@hzg.de
Thyssenkrupp; Telefon: 0203 52-45185; E-Mail: bernd.overmaat@tks.thyssenkrupp.com

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