Hohe Sicherheit und Fahrfreude – das ist das Spannungsfeld, in dem sich Fahrwerksingenieure bewegen. Eine Vielzahl von Lenkern tragen im Fahrwerk dazu bei, diese Ziele konsequent zu erreichen. Doch auch Umwelt und Wirtschaftlichkeit dürfen nicht zu kurz kommen. Gießen hilft hier mit seiner Formfreiheit, das Material an die richtige Stelle zu bringen. Ob durch leichte Hohlbauweise oder durch hohe Integration von Funktionen – Gusslenker haben sich im Leichtbau bewiesen. Sie übertragen die im Fahrbetrieb auftretenden Kräfte betriebssicher und zeigen durch ihr duktiles Verhalten im Fall der Fälle die gewünschte Crashperformance.
Der Autor Guido Rau ist Leiter Produktentwicklung bei der Georg Fischer Automotive AG, CH-Schaffhausen
Es muss nicht gleich der Nürburgring sein, auch eine kurvenreiche Landstraße kann Fahrspaß im Auto bieten, wenn das Fahrwerk dabei nicht gleich an seine Grenzen stößt. Doch auch wer es weniger sportlich mag, ist froh, wenn sein Auto komfortables Fahrverhalten bietet und gleichzeitig in Ausnahmesituationen berechenbar bleibt. In Gefahrenmomenten schnell reagieren zu können, ohne dass das Fahrzeug außer Kontrolle gerät, kann Adrenalinstöße vermeiden.
Maßgeblichen Anteil daran haben die Fahrwerke. Ob McPherson-Konzept oder Mehrlenker-Philosophie – die Technik beschert in modernen Automobilen in hohem Maße sowohl Fahrstabilität als auch Komfort. Eine tragende Rolle spielen hierbei – im wahrsten Sinne des Wortes – die Lenker. Sie verbinden das Rad sicher mit dem Chassis und sorgen dafür, dass die Räder in jeder Situation optimalen Kontakt zur Fahrbahn haben. Dabei sollten sie so wenig Elastizität wie möglich besitzen, damit die vom Konstrukteur beabsichtigte Radführung so ideal wie möglich umgesetzt werden kann. Erschwert wird ihnen das durch das geringe Platzangebot, welches unter der Karosserie herrscht. Gleichzeitig soll das Bauteilgewicht so niedrig wie möglich sein. Ziel ist es somit, den vorhandenen knappen Raum bestmöglich zu nutzen, ohne Sicherheit oder Steifigkeit zu beeinträchtigen.
Ziele und Zielkonflikte
Eine weitere Herausforderung für den Lenker sind die sogenannten Missbrauchs-Lastfälle: Was sich im täglichen Betrieb so unelastisch wie möglich verhalten soll, muss sich im Fall eines Crashs plastisch verformen und damit Energie aufnehmen. Dieser Zielkonflikt kann durch duktile Werkstoffe und eine geeignete Form gelöst werden. Dank des hohen Verformungsvermögens des Eisengusswerkstoffes „Sibodur“ in Verbindung mit einer optimalen Bauteilauslegung, ergibt sich ein sehr duktiles Bauteilverhalten. Das Bauteil folgt auf diese Weise dem „Fail-safe-Konzept“ – vor dem Ausfall muss eine deutliche Verformung erfolgen.
Verfahren und Werkstoffe
Gießen ist eine äußerst wirtschaftliche Möglichkeit, solche Aufgaben in Leichtbauweise zu lösen. Da das Metall in flüssigem Zustand geformt wird, kann man fast beliebige Querschnitte und Formen schnell und sicher in Großserie darstellen. Durch Kerne lassen sich sogar Hohlprofile darstellen – eine wichtige Formfreiheit, wenn man hoch belastete Bauteile leicht gestalten will. Gleichzeitig lassen sich die Wanddicken einfach an die Belastungen anpassen: Das Material wird dort eingesetzt, wo es sinnvoll ist – ein wichtiger Schlüssel für Leichtbau.
Sowohl bei der Material- als auch bei der Verfahrensauswahl bietet Gießen ein sehr breites Spektrum. Je nach Anwendung und Stückzahl werden verlorene Sand- oder permanente Stahlformen eingesetzt. Im Sand- und Kokillengießverfahren hergestellte Aluminium-Gussteile bieten wegen ihrer geringen Dichte ein hervorragendes Potenzial zum Leichtbau. Durch die geringe Wanddicke lässt sich das Gewicht deutlich reduzieren.
Gusseisen mit Kugelgraphit stellt mit seinen unterschiedlichen Legierungsvarianten ebenfalls ein interessantes Spektrum zur Verfügung. Vom klassischen GJS-Standardwerkstoff über die hochfesten „Sibodur“-Sorten bis hin zum wärmebehandelten ADI (Austempered Ductile Iron) lassen sich Zugfestigkeiten zwischen 400 und 1200 MPa realisieren.
Nicht jedem ist bekannt, dass sich Gusseisen mit Kugelgraphit auch schweißen lässt. Mit geeigneten Verfahren wie dem Magnetarc- oder dem Reibschweiß-Prinzip sind in Hybridbauweisen mit Stahl wirtschaftliche Lösungen möglich. Guss und Stahl kommen hier mit ihren jeweiligen Stärken zur Geltung und ergänzen sich nach dem Prinzip „Material follows function“.
Entwicklung virtuell
Um alle Ziele des Lastenheftes sicher erfüllen zu können, bedarf es im Vorfeld einer virtuellen Produktentwicklung. Start ist die bionische Strukturoptimierung, durch die sich mit Hilfe von Vorbildern aus der Natur die bestmögliche Bauteilkonzeption innerhalb der bestehenden Randbedingungen finden lässt. Damit kristallisiert sich schnell heraus, welche Lastpfade und Querschnitte das Gussteil aufweisen sollte, um mit möglichst wenig Materialeinsatz zum Ziel zu kommen.
Nun beginnt das Feintuning der Geometrie: Das Design wird im CAD-System konstruiert und durch Simulation der Betriebsbelastungen validiert und optimiert. Noch während dieser Optimierung der Festigkeit wird bereits die Herstellbarkeit untersucht. Auch hier helfen die virtuellen Werkzeuge, um das Optimum zu finden. Über eine Simulation des Produktionsprozesses, die vom Gießvorgang bis zum Erstarrungsverhalten reicht, wird sichergestellt, dass das Gussteil auch bei der Herstellung optimal ausgelegt wird.
Leichtbau in einem Guss
Vom Pkw über den Transporter bis hin zum schweren Lkw – die Georg Fischer Automotive AG, Schaffhausen, Schweiz, liefert heute jährlich rund 2,5 Millionen Lenker verschiedenster Arten und Werkstoffe aus – je nach Kundenwunsch als Rohteil, oder aber mechanisch bearbeitet, lackiert und montiert. Eine Zahl, die zeigt, dass Lenker in Guss eine zuverlässige und wirtschaftliche Lösung darstellen, mit denen Fahrwerke auch in Zukunft komfortabel und sicher gestaltet werden können.
Georg Fischer; Telefon: 0041 52 6311-111; E-Mail: guido.rau@georgfischer.com
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