Voraussetzung für das Sparen und Gewinnen von Energie ist die Elektronik. In Wolfsburg wird durch ein dynamisches Energiemanagement der Stromverbrauch begrenzt und elektrische Energie aus dem Fahrzeug zurückgewonnen. Dabei wird nicht auf Komfort verzichtet. Außerdem wird zunehmend mehr Elektronik aus der Consumer-Industrie ins Auto übertragen. Die Redaktion sprach mit dem Leiter für Elektrik- und Elektronik-Entwicklung, Dr. Volkmar Tanneberger, über aktuelle und zukünftige Herausforderungen.
Herr Dr. Tanneberger, es wird manchmal behauptet, vermehrter Einsatz von Elektronik führt zu mehr Kraftstoffverbrauch. Ist diese Behauptung haltbar?
Tanneberger: Jedes Steuergerät stellt natürlich zunächst erst einmal einen Stromverbraucher dar. Die Feststellung, dass mit der Zunahme von Steuergeräten in modernen Fahrzeugen auch der elektrische Energiebedarf steigt, ist deshalb grundsätzlich richtig. Wir wirken diesem Trend jedoch durch ein intelligentes Energiemanagement in unseren Volkswagen-Fahrzeugen entgegen. Die Wirkungsgrade der Steuergeräte wurden deutlich erhöht, und bei der Stromerzeugung konnte die Effizienz der Generatoren gesteigert werden. Der Stromverbrauch in einem modernen Fahrzeug ist also nicht proportional zu der erhöhten Anzahl der Steuergeräte gestiegen. Ein anderer Punkt ist: Elektronik ist die Voraussetzung für Energie sparende Maßnahmen. Zum Beispiel ist Elektronik die Basis für ein Start-Stopp-System und ein Doppelschalt-Getriebe. Ohne Elektronik wäre man nicht in der Lage, moderne energieeffiziente Fahrzeugkonzepte umzusetzen.
Große Stromverbraucher treten im Pkw überall dort auf, wo in kurzer Zeit große Wärmeenergie bereitgestellt werden muss. Ist die Reduktion des Stromverbrauchs ein Thema für die Entwicklungsabteilung?
Tanneberger: Unser Ziel ist es, über ein intelligentes Energiemanagement und moderne Technologien Effizienz zu erreichen. Dabei verzichten wir nicht auf Komfort. Der Hauptfokus ist neben einer sinnvollen Begrenzung des Stromverbrauches die effiziente Erzeugung der Energie über Generatoren mit hohem Wirkungsgrad und die Verwaltung der Energieflüsse über ein dynamisches Energiemanagement. Zukünftig werden wir uns zudem verstärkt um die Rückgewinnung der kinetischen Energie aus dem Fahrzeug kümmern.
Die Modellzyklen haben sich seit den letzten 20 Jahren von 10,6 auf 6 Jahre verkürzt. Die Folge sind höhere Entwicklungskosten. Führt das zu einer Bündelung von Produktfamilien?
Tanneberger: Bei Volkswagen wurde recht früh eine Modul-Strategie entwickelt. Die Elektronik war dabei federführend. Wir setzen konzernweit mehr als 400 elektrische Module ein. Die Strategie verfolgt die Wiederverwendung von Steuergeräten über die Plattformen und Marken des Konzerns. Im Ergebnis bündeln wir dadurch die Volumen der Steuergeräte und reduzieren die Varianten. Darüber hinaus steigern wir die Effizienz im Entwicklungsprozess, verkürzen durch Ressourcen-Konzentration die Innovationszyklen und erhöhen durch verbesserte Wiederverwendung letztendlich auch die Entwicklungsqualität. Alle Marken im Volkswagen Konzern unterliegen der Modul-Strategie. Die Schnittstelle für ein Handy im Auto muss im Bentley, im Phaeton und im Polo dieselbe sein. Die Ausstattung wird allerdings selbstverständlich variieren.
In die Fahrzeuge wird zunehmend Consumer-Elektronik integriert. Muss Volkswagen sich da mit einer anderen Welt auseinandersetzen?
Tanneberger: Es gibt zwei Sichtweisen: die der Technik und die des Kunden. Aus technischer Sicht hat die Welt der Consumer-Elektronik andere Randbedingungen und Gesetzmäßigkeiten als wir sie in der Automobil-Industrie kennen. Die Lebenszyklen sind deutlich kürzer. Die Entwicklungszeit eines Handys oder MP3-Players beträgt zwischen sechs und neun Monaten, der Lebenszyklus ein bis maximal eineinhalb Jahre. Dabei werden teilweise Produktmängel zur Markteinführung in Kauf genommen. Ein Auto demgegenüber hat von der ersten Produktidee bis zur Markteinführung eine wesentlich längere Entwicklungszeit. Kundenwirksame Produktmängel müssen vor Markteinführung bereinigt werden. Darüber hinaus müssen wir spezielle Qualitätsstandards für die Automobil-Industrie gewährleisten. Um den Kunden den Betrieb von innovativen, schnelllebigen CE-Produkten in unseren Fahrzeugen zu ermöglichen, haben wir Schnittstellen geschaffen, an denen der Fahrzeugnutzer seinen MP3-Player oder sein Handy anschließen kann. Über das Touch-Screen-Display des VW-Navigationsgerätes kann sogar ein angeschlossener i-Pod nach der bekannten Menüführung bedient werden. Darüber hinaus bieten wir für alle unsere Modelle SD-Karten-Leser und USB-Anschlüsse an. Aus Sicht eines Automobilherstellers sollen die Schnittstellen zur Consumer-Elektronik möglichst konstant bleiben. Um hier Standards zu etablieren, arbeiten wir mit anderen Herstellern zusammen. Die VDA-Initiative „Consumer-Electronic-for-Automotive” ist ein gemeinsames Sprachrohr der OEMs. Dort stimmen wir unsere Anforderungen mit den CE-Herstellern ab.
Elektronische Sicherheitssysteme der Premiumklasse sollen zunehmend Käufern von Mittelklasse-Autos zugute kommen. Finden wir demnächst Techniken im Golf und Passat, die wir bisher aus dem A8 und dem Phaeton kennen?
Tanneberger: Sicherheitssysteme müssen bei Volkswagen unabhängig vom Segment allen Kunden zur Verfügung gestellt werden. Unser Ziel ist es, Technik aus der Oberklasse in die Mittel- und Kleinwagenklasse zu transportieren. Wir machen somit Sicherheit einer breiten Masse zugänglich. Ein Beispiel ist die Rückfahrkamera aus den Oberklassensegmenten, die es erstmals 2005 im Touareg gab. Inzwischen bieten wir diese Technik kostenoptimiert auch in der Kompaktklasse an. Ein zweites Beispiel ist der Parkpilot mit Ultraschall-Sensoren aus dem Phaeton. Das System funktioniert mit sechs Sensoren vorne und sechs hinten. Heute ist es im Golf und Passat mit jeweils vier Sensoren mit über 50 Prozent Einbaurate am deutschen und europäischen Markt ein beliebtes Feature.
Kann der Autofahrer alle wichtigen elektronischen Informationen wahrnehmen, ohne vom Fahren abgelenkt zu sein?
Tanneberger: Ja, er muss es. Mit der Zunahme an Elektronik steigt die Informationsflut für den Fahrer. Unsere Aufgabe ist es, einfache Bedienkonzepte zu finden, um den Fahrer nicht zu überfordern. Die Mensch-Maschine-Schnittstelle (HMI) ist eine der Kernkompetenzen von Volkswagen, die uns wichtig ist und aus der wir Vorgaben für unsere Lieferanten ableiten. In die Festlegung der grundsätzlichen Bedienkonzepte ist der Vorstand eingebunden. Es ist wichtig, logische Bedienkonzepte für den Kunden zu schaffen und dieses durchgängig für die Marke Volkswagen zu halten. Man muss zudem unterscheiden, ob man ein Bedienkonzept für Europa, Asien oder Amerika entwickelt, denn die HMI-Logik, wie Menschen an Technik herangehen, ist kulturgetrieben. Unter dem Entwicklungsumfang HMI verbergen sich alle Schalter, Hebel und Displays im Fahrzeug. Bei den Schaltern und Hebeln ist die Haptik entscheidend. Bei der Display basierten Bedienung setzt Volkswagen verstärkt berührungssensitive Touch Screens ein, die den Vorteil haben, dass der Benutzer mit wenigen Schritten seinen Eingabewunsch erfüllt hat. Sie sind selbsterklärende Bedienungselemente.
Zusammen mit unseren Partnern sind wir für die Zukunftsthemen mit der Modulstrategie und der damit einhergehenden Demokratisierung von Kundenfunktionen, der Integration von Consumer-Geräten mit optimierter Bedienlogik und dem intelligenten Energiemanagement innovativ und sicher für die Zukunft aufgestellt.
Das Interview führte Alexander Völkert, Redakteur AutomobilKONSTRUKTION
Fotos: Volkswagen AG
Volkswagen AG; Telefon: 05361 928031;
- Studium der Elektrotechnik an der TU Braunschweig (1991 bis 1995 Promotion)
- 1995 Wechsel zu Blaupunkt (ab 1999 Abteilungsleiter für „Software Konzepte, Plattformentwicklung“)
- seit 2001 tätig für Volkswagen (bis 2002 Leitung Innovationshaus Multimedia der Konzern-Elektronikstrategie; bis 2006 Leitung Hauptabteilung „Funktionselektronik“)
- seit 2006 Leitung des Fachbereichs Elektrik-/Elektronik Entwicklung
Funktionsorientierung und Modulstrategie
Europas größter Automobilhersteller mit Hauptsitz in Wolfsburg ist mit einem weltweiten Umsatz von 113,8 Mrd. € und rund 370 000 Beschäftigten gut aufgestellt. Mit den Marken Audi, Bentley, Bugatti, Seat, Škoda Auto, Volkswagen, Volkswagen Nutzfahrzeuge und Scania kombiniert er Funktionsorientierung und Modulstrategie. Mit mehr als 400 Modulen aus dem Bereich der Elektronik ermöglicht VW die Mehrfachnutzung von Funktionen durch Modulbausteine.
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