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Standhaft ohne Gewichtsproblem

Auswirkung erhöhter ungefederter Radmassen auf das Fahrverhalten eines Pkws
Standhaft ohne Gewichtsproblem

Der Einsatz von Radnabenmotoren in Kraftfahrzeugen ermöglicht eine Vielzahl von konstruktiven und regelungstechnischen Vorteilen. Gleichzeitig geht mit dem Einsatz dieser Technologie stets eine Skepsis einher, welche durch die konzeptbedingte Erhöhung der ungefederten Massen begründet wird. Besonders auf schlechten Straßen ist hinsichtlich der Fahrsicherheit eine möglichst geringe ungefederte Masse anzustreben.

Ob der Einsatz von Radnabenmotoren in Kraftfahrzeugen aufgrund einer erhöhten Radmasse fahrdynamisch als kritisch anzusehen ist, blieb bisher ungenügend untersucht. Im Rahmen eines Forschungsprojektes mit der Unterstützung der Continental Automotive GmbH, des Instituts für Kraftfahrzeugtechnik der RWTH und der Gesellschaft für Industrieforschung in Aachen (GIF) wurden die Auswirkungen erhöhter ungefederter Massen auf das Fahrverhalten eines Mittelklassefahrzeugs praktisch untersucht. Das durch den Einsatz von Radnabenmotoren verursachte Mehrgewicht von bis etwa 30 kg pro Rad wurde bei der Durchführung der Fahrversuche durch 16,5 beziehungsweise 29 kg schwere und in den Felgeninnenraum montierte Scheiben simuliert. Die ungefederte Masse wurde damit von 45 auf 61,5 beziehungsweise auf 74 kg pro Rad erhöht. Sonstige Änderungen fanden nicht statt.

Einflüsse der Fahrbahn
Die Fahrbahnanregungen versetzen die Räder eines Kraftfahrzeugs hauptsächlich in Vertikalschwingungen. Diese Schwingungen bewirken aufgrund von Beschleunigungen der gefederten und ungefederten Fahrzeugkomponenten eine dynamische Radlastschwankung. Sie hängt von den Federungs- und Dämpfungseigenschaften des Fahrzeugs sowie von der Ebenheit der Fahrbahn ab und verringert die mittlere Seitenführungskraft des Reifens. Eine Reduktion des Seitenführungspotenzials führt jedoch nicht zwangsläufig zur Abnahme der Fahrsicherheit. Bei Geradeausfahrt spielen Radlastschwankungen nur eine untergeordnete Rolle für die Sicherheit. Größere Bedeutung muss den Seitenkraftverlusten jedoch bei Kurvenfahrt beigemessen werden. Können die Seitenkraftverluste nicht durch entsprechende Vergrößerung des Schräglaufwinkels kompensiert werden, so führen sie zu instabilem Fahrverhalten. Die durchgeführten Fahrversuche wurden aus diesem Grund auf einer Kreisbahn durchgeführt. Als Anregung dienten fünf im Abstand von einem Meter voneinander am Boden befestigte Leisten der Höhe 19 mm und der Breite 50 mm.
Die in Bild 2 dargestellten Messpunkte zeigen jeweils die für eine Testfahrt gemittelte Gierrate. Das 1000-ms-Diagramm enthält nur Daten während des Überfahrens der Leisten. Die untere Abbildung beruht auf Messwerten einer kompletten Kreisfahrt, das heißt aus Gut- und Schlechtweg-Abschnitten. Wie aus der Abbildung ersichtlich, verursacht eine Erhöhung der Radmasse keine Abweichungen der Gierrate von der serienbelassenen Version.
Nötige Lenkwinkelkorrektur
Als weiteres Maß für die Fahrsicherheit können die notwendigen Lenkkorrekturen des Fahrers angesehen werden. Wie aus der Fachliteratur bekannt, sollte die durchgeführte Lenkwinkelkorrektur eine Grenze von 1° am Rad nicht überschreiten. Andernfalls könnte die notwendige Korrektur den Normalfahrer überfordern. Der geforderte Grenzwert wurde trotz der Zusatzmasse stets unterschritten.
Das Verhältnis aus der gemessenen und einer als „ideal“ berechneten Gierrate, wie sie das Fahrzeug stationär bei neutralsteuerndem Lenkverhalten hätte, wird durch Gl(1) angegeben.
Gl(1): Gierratenverhältnis
Dieses Verhältnis macht es möglich, die Gierbewegung des Fahrzeugs unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Lenkeingaben zu bewerten.
Die Punktwolken stehen für die einzelnen Messfahrten bei unterschiedlicher Geschwindigkeit. Sie entstehen durch geringfügige Variationen der Fahrgeschwindigkeit und dem Gierratenverhältnis. Die einzelnen Punkte, bei denen das Gierratenverhältnis nach oben abweicht, zeigen Bereiche auf, in denen die Radlast und damit die maximal übertragbare Seitenkraft abnehmen. Die Hinterachse des Fahrzeugs rutscht dabei seitlich nach außen und reduziert damit die Untersteuertendenz des Fahrzeugs. Mit steigenden Radmassen verschieben sich die kritischen Resonanzbereiche, erkenntlich an der Anzahl der Ausreißer nach oben, zu geringeren Frequenzen. Bei den vorgegebenen periodischen Bodenunebenheiten entspricht das einer Verschiebung zu Bereichen geringerer Geschwindigkeiten.
Ähnliche Veränderung des Lenkverhaltens
Es zeigt sich, dass die Reduzierung der Untersteuertendenz und damit die unerwünschte Veränderung des Lenkverhaltens für die untersuchten Radmassen ähnlich groß ausfällt: Es sind keine relevanten Unterschiede zwischen den getesteten Radmassen zu erkennen. Dieses Ergebnis erscheint auf den ersten Blick überraschend. Schließlich verursacht eine höhere Radmasse rechnerisch eine größere Radlastschwankung, die zudem auch erst später abklingt. Eine genauere Betrachtung des Seitenkraftaufbau-Mechanismus‘ gibt jedoch einen entscheidenden Hinweis, wieso sich eine höhere Radlast doch nicht so nachteilig auf das Fahrverhalten auswirkt. Der Reifen benötigt eine Einlaufstrecke und damit eine geschwindigkeitsabhängige Zeitspanne, um bei Radlastzunahme die dann mögliche höhere Seitenkraft wieder aufzubauen. Bei einer Abnahme der Radlast reduziert sich die Seitenkraft jedoch sofort. Damit kann ein mit einer geringeren Frequenz schwingender Reifen insgesamt eine höhere mittlere Seitenkraft übertragen.
Simulationen am Viertelfahrzeug zeigen unter Berücksichtigung eines dynamischen Seitenkraftaufbauverhaltens eine direkte Abhängigkeit der im Mittel übertragbaren Seitenkraft von der Einlauflänge des Reifens und der Anregungsfrequenz. Bei einer niederfrequenten beziehungsweise transienten Anregung zeigt dabei ein leichteres Rad stets ein insgesamt höheres mittleres Seitenkraftpotenzial auf. Die Ursache beruht auf der geringeren und schneller abklingenden Kraftschwankung des leichteren Rades. Wiederholt sich die Anregung periodisch oder stochastisch mit einer höheren Anregungsfrequenz, so weist das schwerere und damit gleichzeitig langsamer schwingende Rad wiederum ein höheres Seitenkraftpotenzial auf.
Erhöhte Radmassen unkritisch
Die durchgeführte Untersuchung zeigt, dass die Veränderung des Fahrverhaltens des Versuchsfahrzeugs mit den erhöhten Radmassen als unkritisch zu bewerten ist. Die befürchtete Verschlechterung der Fahrdynamik aufgrund einer erhöhten dynamischen Radlastschwankung konnte nicht nachgewiesen werden. Während der Untersuchung wurden nicht nur die zuvor definierten Grenzwerte für die Fahrsicherheit weit unterschritten. Auch von keinem der Testfahrer konnte eine subjektive Verschlechterung der Fahrdynamik aufgrund der Erhöhung der Radmassen festgestellt werden.
Continental; Telefon: 0941 790 92766; E-Mail: Robert.Syrnik@ continental-corporation.com
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