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„Klimakompressor schließt Lücke in unserem Portfolio“

Prof. Dr.-Ing. Heinz K. Junker, Aufsichtsratsvorsitzender der Mahle GmbH, über Technik und Portfolio im Unternehmen
„Klimakompressor schließt Lücke in unserem Portfolio“

Nach knapp zwei Jahrzehnten an der Spitze der Geschäftsführung von Mahle übernimmt Prof. Dr.-Ing. Heinz K. Junker den Aufsichtsratsvorsitz des Unternehmens. Für die AutomobilKonstruktion blickt er in die Vergangenheit zurück und äußert sich zur Zukunft der Antriebstechnik.

Das Interview führte Jürgen Goroncy, freier Mitarbeiter der AutomobilKonstruktion

Mit welchen Strategien und Produkten hat Mahle auf die große Herausforderung CO2 reagiert?
Junker: Wir haben beispielsweise in enger Kooperation mit unseren Kunden neue Produkte zur Optimierung des Verbrennungsmotors entwickelt. Mit diesen Produkten sind wir mit vorne dabei, wenn es um Wirkungsgradverbesserungen geht. Beispiele sind Stahlkolben für Pkw-Dieselmotoren, Reibungsreduzierung, das Turbolader-Joint Venture mit Bosch sowie bedarfsgeregelte Öl- und Wasserpumpen.
Und wie haben Sie die die wirtschaftliche Zäsur der Jahre 2008/2009 überwunden?
Junker: Die Folgen der Wirtschaftskrise konnten wir mit unserer traditionell breiten Aufstellung in allen wichtigen Märkten relativ gut meistern. Eine andere Lehre aus der Wirtschaftskrise ist die Umgestaltung der Produktion zu einer flexibleren, nachfrageorientierteren Organisation. Wir können nicht immer davon ausgehen, dass die Nachfrage jedes Jahr um drei Prozent wächst, sondern müssen uns auf einen deutlich niedrigeren Break-Even-Point ausrichten.
Sind Behr und Letrika Belege dafür, dass Mahle sich zum Fullliner in Sachen Antrieb entwickeln will?
Junker: Fullliner ist etwas zu hoch gegriffen. Wir haben nicht die Absicht, auch noch Einspritzsysteme, Abgasnachbehandlung oder ähnliches zu machen. Behr und Letrika waren strategische Opportunitäten, unser Produktportfolio sinnvoll zu erweitern und abzurunden. Die Themen Thermomanagement, Mechatronik und Elektrik standen schon lange auf unserer Agenda.
Die Mahle-Tochter Letrika arbeitet an einem Elektroantrieb mit etwa 50 Kilowatt Leistung. Ist das eine 48-Volt-Lösung?
Junker: Nein, das ist ein Antrieb mit Hochvolt-Technik. Allerdings ist Letrika mit Elektroantrieben auf Niedervolt-Basis bereits bei Zweirädern, im Freizeitsegment oder kleinen Logistikfahrzeugen in sehr hohen Stückzahlen aktiv. Ein Beispiel ist das Letrika-Aggregat mit 48 Volt Betriebsspannung im Renault Twizy. Besonders im Bereich der großstädtischen Mobilität erwarte ich in nächster Zeit viele neue Konzepte, für die 48-Volt-Elektroantriebe sehr attraktiv sein können.
Stichwort elektrischer Antrieb: Steht schon eine Industrialisierung Ihres Range Extenders in Aussicht?
Junker: Unser Range Extender ist für uns eine Plattform zur Präsentation unserer umfassenden Engineering-Kompetenz inklusive Integration von Verbrenner und E-Antrieb. Eine Serienfertigung war nicht unsere Priorität. Kundeninteresse ist allerdings vorhanden, jedoch benötigt das von uns geforderte Geschäftsmodell Kunden, die über eine lange Laufzeit eine Garantie über gewisse Stückzahlen geben. Sonst lohnen sich die massiven Investitionen in eine Fertigung nicht.
Wo sehen Sie die Marktnische des Range Extenders im Wettbewerb mit 48-Volt-Mildhybrid und Plug-in-Hybrid?
Junker: Plug-in-Hybride sind besonders für große Fahrzeuge wie Oberklasse-Limousinen und SUV der bevorzugte Lösungsansatz. Dank einer elektrischen Reichweite von 40 oder 50 Kilometern und unter Berücksichtigung des aktuellen Verbrauchszyklus sind mit einem Plug-in-Hybrid Emissionswerte von deutlich weniger als 100 Gramm CO2 pro Kilometer möglich. Allerdings erfordert ein Plug-in-Hybrid konzeptbedingt zwei vollwertige Antriebe, was ihn für kostensensiblere Fahrzeugsegmente zurzeit nicht zur ersten Option macht.
In diesen Segmenten sehe ich für einen 48-Volt-Mildhybrid deutlich bessere Chancen, die Emissionsziele bei ungleich geringeren Kosten zu erreichen. Noch vor Jahren hielt ich persönlich diese Technik eher für ein Nischenprodukt. Allerdings offenbart sich jetzt nach und nach ihr Nutzen zum Erreichen der CO2-Ziele. Ein Range Extender ist meiner Ansicht nach für kleinere batterieelektrische Fahrzeuge optimal, bei denen bezüglich Reichweite keine Kompromisse gemacht werden sollen.
Welche Nebenaggregate und Techniken für Verbrennungsmotoren stehen für die Zukunft auf der Mahle-Agenda?
Junker: Mit dem Zukauf der Klimasparte von Delphi werden wir künftig auch Klimakompressoren im Portfolio führen. Unsere Kunden fordern berechtigterweise Komplettsysteme inklusive Systemauslegung. Die Entwicklungsressourcen für die Systemauslegung mussten wir bereitstellen, ohne aber die Wertschöpfung aus der Fertigung von Klimakompressoren generieren zu können. Dieses Missverhältnis haben wir jetzt abgeschafft.
Klimakompressoren sind außerdem ein interessantes Produkt, wenn es in Richtung Elektrifizierung des Antriebsstrangs geht. Bei einem Plug-in-Hybrid ist es definitiv erforderlich, dass der Klimakompressor elektrisch angetrieben wird, bei anderen Hybridvarianten zumindest erwägenswert.
Welche technischen Innovationen sind bei Motorsystemen und -komponenten noch zu erwarten?
Junker: Wir machen 30 Prozent unseres Umsatzes mit Motorsystemen für Nutzfahrzeuge. Dort geht die Kraftstoffeffizienz über alles. Mahle hat erst kürzlich alle Anteile der früheren Amovis GmbH übernommen. Dieses innovative Start-Up-Unternehmen verfügt über eine hohe Kompetenz im Bereich der intelligenten Abgaswärme-Rückgewinnung mittels ORC (Organic Rankine Cycle). Mit einem solchen weiterentwickelten Dampfkreisprozess lassen sich beispielsweise bei Nutzfahrzeugen der Kraftstoffverbrauch und damit die CO2-Emissionen um bis zu fünf Prozent senken. Die von Amovis entwickelte Axialkolbenmaschine und unser Know-how bei der Wärmeübertragung sind Schlüsseltechniken für Systeme zur effizienten Abgaswärmenutzung. Mahle ist das einzige Unternehmen, das ein komplettes ORC-System zur Verfügung stellen kann. Wir rechnen fest damit, dass erste Trucks damit 2020 auf der Straße unterwegs sein werden.
Sehen Sie weitere technische Innovationen bei Motorsystemen und -komponenten?
Junker: Es bleibt abzuwarten, ob eine mechanische Regelung der Nebenaggregate ausreicht. Vielleicht wäre es besser, elektrisch betriebene Nebenaggregate zu bevorzugen und somit den Verbrennungsmotor von all diesen Zusatzaufgaben zu entlasten.
Sie werden bei Mahle den Aufsichtsratsvorsitz übernehmen. Hat das Auswirkungen auf Ihre Lehrtätigkeit an der Universität Bochum und andere Aktivitäten?
Junker: Ich werde die Lehrtätigkeit weiterführen, weil sie mir viel Freude bereitet. Außerdem hält der Umgang mit jungen Menschen einen auch geistig jung und fit. Neben dem Aufsichtsratsvorsitz bei Mahle werde ich auch den Vorsitz im stimmberechtigten Gesellschaftergremium von Mahle übernehmen. Ich sehe das als meine mit Abstand wichtigste Aufgabe in den nächsten Jahren. Hinzu kommt, dass ich bei unseren Tochterunternehmen, an denen noch Dritte Gesellschafteranteile halten, weiterhin im Aufsichtsrat sitzen oder ihn sogar führen werde.
Mit meinem Nachfolger ist außerdem abgesprochen, dass ich die technische Weiterentwicklung des Konzerns eng begleiten werde. Denn der technische Wandel wird alle Unternehmen in unserer Industrie noch stärker fordern. Fokussieren lässt sich diese Entwicklung auf die dramatische Verschärfung des CO2-Grenzwerts, die den OEMs und Zulieferern alles an technischer Expertise abverlangt.
IAA: Halle 8.0, Stand C40

Zur Person
Prof. Dr.-Ing. Heinz K. Junker (65) wurde 1949 in Wegberg/NRW geboren. Nach seinem Abschluss zum Diplom-Ingenieur Fachrichtung Kraftfahrwesen an der RWTH Aachen promovierte er 1984 zum Dr.-Ing. Anschließend war er stellvertretender Geschäftsführer der Forschungsgesellschaft Kraftfahrwesen Aachen mbH. 1986 wurde er zum Hauptabteilungsleiter der Entwicklung bei TRW Ehrenreich in Düsseldorf berufen. Seit 1987 ist Junker auch Lehrbeauftragter für Fahrzeugdynamik an der Ruhr-Universität Bochum, seit 1994 Honorarprofessor. Nach weiteren Stationen bei TRW wechselte er 1996 als Vorsitzender der Geschäftsführung und CEO zu Mahle.
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