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„Kostenparität zwischen elektrischen und verbrennungsmotorischen Fahrzeugen denkbar“

Dr. Uwe Dieter Grebe,Geschäftsführer Entwicklung Antriebssysteme, und Kai Uwe Voigt, Geschäftsführer Motorenmesstechnik und Testsysteme, AVL List GmbH
„Kostenparität zwischen elektrischen und verbrennungsmotorischen Fahrzeugen denkbar“

Wohin steuert die Elektrifizierung des Antriebs? Prof. Dr. Uwe Dieter Grebe, Geschäftsführer Entwicklung Antriebssysteme, und Dipl.-Ing. Kai Uwe Voigt, Geschäftsführer Motorenmesstechnik und Testsysteme, legen aus Sicht der AVL List GmbH dar, welche elektrifizierten Antriebslösungen sie am Horizont sehen.

Das Interview führte Hartmut Hammer, freier Mitarbeiter der AutomobilKonstruktion

Welche Herausforderungen sieht AVL bei der Batterieentwicklung?
Prof. Grebe: Neben der Kostenreduzierung sind das die Erhöhung der Energiedichte von Lithium-Ionen-Batterien und langfristig die Optimierung neuer Zellchemien. Im Gesamtsystem „batterieelektrischer Antrieb“ sehen wir das Geräuschverhalten, den Wirkungsgrad, die Ansteuerung und die Leistungselektronik, Stichwort Silizium-Karbid-Technik, sowie das thermische Management noch als Entwicklungsschwerpunkte. Wir integrieren beispielsweise Zellen zu raumökonomischen Batteriemodulen, entwerfen Managementsysteme für den Ladungs- und Wärmehaushalt und arbeiten eng mit den Zellenherstellern bei der Entwicklung von automotivetauglichen Zellen und Modulen zusammen. Auch die Entwicklung von Fertigungstechniken zählt zu unserem Portfolio, wir haben bereits zahlreiche Patente angemeldet.
Welches Optimierungspotenzial steckt aus Ihrer Sicht noch in der Lithium-Ionen-Technik?
Grebe: Die Kostenreduzierung ist das wichtigste Entwicklungsziel. Durch technische Weiterentwicklungen und Skaleneffekte dürften bis in die erste Hälfte des nächsten Jahrzehnts die Kosten in etwa zu halbieren sein. Dann sind Produktkosten von etwa 100 Euro pro Kilowattstunde für das einbaufertige Batteriepack vorstellbar. Gleichzeitig ist noch eine volumetrische Verdoppelung der Speicherdichte bei lithiumbasierter Technologie möglich. Wir bewegen uns dann zumindest bei Stadtfahrzeugen auf eine Kostenparität zwischen elektrisch und verbrennungsmotorisch angetriebenen Fahrzeugen zu.
Und bei den E-Maschinen?
Voigt: Ein Trend bei E-Maschinen geht zu immer höheren Drehzahlen – 20 000 oder 30 000 Umdrehungen pro Minute sind keine Ausnahme mehr. Für solche hochdrehenden Antriebe sind spezielle Prüfstände erforderlich, deren Dynamik weit über der von konventionellen Prüfständen liegt. Und für die neue Generation der Hochvoltbatterien mit 800 Volt Spannung haben wir 2016 den AVL-E-Storage-Batterietester vorgestellt, dessen verbesserte Dynamik und Genauigkeit gezielt auf diese hohen Spannungsbereiche ausgelegt ist.
Welche Anforderungen stellt die Elektrifizierung des Antriebsstrangs künftig an die AVL-Testsysteme?
Voigt: Bei Elektroantrieben sehe ich etwa bei der Energiedichte der Batterien und den Materialien für Umrichter und Elektromotoren noch erhebliches Entwicklungspotenzial. Für die Umrichter haben wir deshalb in unserem Joint Venture mit der SET Power Systems GmbH aus Wangen im Allgäu Testwerkzeuge entwickelt, die durch eine hochdynamische und präzise Simulation der Elektromotoren die Detektion von Fehlzuständen von Umrichtern unter realen Lastbedingungen ermöglichen. So kann man die Leistungselektronik bereits weit vor der Integration in das Fahrzeug testen.
Wie ist Ihr Unternehmen bei den Testsystemen für Elektroantriebe aufgestellt?
Voigt: Der Geschäftsbereich Testsysteme begann 2006 mit der Entwicklung erster Prüfstände für Hybrid- und Elektrifizierungslösungen. Heute steht hier ein fast lückenloses Portfolio von Prüfständen für Elektromotoren, Inverter, Batterien über Prüfstände für die Systemintegration kompletter Elektroantriebe bis zu Rollenprüfständen für Tests kompletter Elektrofahrzeuge zur Verfügung. Diese Bandbreite an Testeinrichtungen gibt es ebenso für Fahrzeuge mit konventionellen Antrieben. Dort bieten wir inzwischen auch mobile Messeinrichtungen für Tests auf der Straße an, etwa zur Ermittlung von Real Driving Emissions (RDE).
Welche Anforderungen sehen Sie bei Mildhybridsystemen?
Grebe: Unser Augenmerk gilt den Synergien zwischen Verbrennungsmotor und Elektrifizierung, etwa durch einen E-Lader. Dieser elektrisch angetriebene Verdichter kompensiert das Turboloch und ermöglicht effizientes Downsizing. Zusammen mit einer E-Maschine mit hohem Drehmoment ab Drehzahl Null sind so die Fahreigenschaften großvolumiger Saugmotoren bei viel höherer Antriebseffizienz und zu attraktiven Kosten darstellbar. Wir haben auf dieser technischen Basis schon Fahrzeugmotoren mit einem spezifischen Kraftstoffverbrauch von etwa 200 Gramm pro Kilowattstunde entwickelt, aber auch Leistungskonzepte mit bis zu 200 Kilowatt pro Liter Hubraum.
Könnten auch Betriebsstrategien ein Aufgabengebiet für AVL werden?
Grebe: Das Simulieren der gesamten Energieflüsse ist bereits eine Spezialität von AVL. Unser Ansatz „Energy Broker“ sammelt alle Informationen über verfügbare Energieflüsse und verteilt die Energie immer an die sinnvollsten Abnehmer. Ein im Prinzip ähnlicher Ansatz von uns ist das „Peak Shaving“, das Glätten der verbrennungsmotorischen Leistungsspitzen durch den gezielten Einsatz des elektromotorischen Leistungspotenzials. Auf diese Weise können wir die Emissionen des Verbrennungsmotors und den Aufwand für die Abgasnachbehandlung nachhaltig reduzieren.
Hat der Vollhybrid noch eine Daseinsberechtigung?
Grebe: Absolut, der Vollhybrid wird sogar in noch mehr Spielarten als bisher Zukunft haben. Beispielsweise könnte er in kostensensiblen Märkten wie Indien mit einem Handschaltgetriebe mit automatisierter Kupplung kombiniert werden. Ein anderer Ansatz ist das „Dedicated Hybrid Transmission“, bei dem ein Elektromotor direkt in das Automatikgetriebe eingebaut ist. Das senkt die Kosten, spart Gewicht und Bauraum und ist bezüglich der Energiepfade sehr effizient. AVL kann das integrierte Hybridgetriebe als Vollhybrid, Plug-in-Lösung und mit variablen elektrischen Fahrmodi darstellen.
Und warum kommen Brennstoffzellenfahrzeuge trotz gereifter Technik immer noch nicht in Fahrt?
Grebe: Das Thema „hängt“ meines Erachtens noch an einer Kombination aus Infrastrukturdefizit und der notwendigen Kostenreduzierung der Komponenten. Aber nach Fukushima hat ein Umdenken hin zu regenerativen Energien begonnen. Durch das im Tagesverlauf schwankende Angebot an Solar- und Windenergie gewinnt Wasserstoff als Speichermedium an Bedeutung. Aber auch Brennstoffzellen, die Kohlenwasserstoffe direkt verwenden, werden entwickelt. AVL hat beispielsweise mit Renault Nissan für Brasilien bereits einen ethanolbetriebenen Prototypen einer SOFC (Solid Oxide Fuel Cell)-Brennstoffzelle als Range Extender in einem Elektrofahrzeug integriert. Ein anderes Projekt von uns ist die Brennstoffzelle als Energiequelle für Kabinen von Nutzfahrzeugen. Voigt: Insgesamt sehen wir die Brennstoffzellentechnik als so zukunftsfähig an, dass wir eine Kooperation mit dem kanadischen Unternehmen Greenlight Innovation über den Aufbau von Prüfsystemen für Brennstoffzellenstacks und -module vereinbart haben.

Die Gesprächspartner
Prof. Dr. Uwe Dieter Grebe (51) studierte Maschinenbau an der TU Darmstadt. Ab 1999 hatte er mehrere leitende Positionen in der Antriebsentwicklung und Produktplanung bei Opel und GM inne. Im Jahr 2012 wechselte Grebe als Geschäftsführer Global Business Development, Vertrieb & International Operations im Bereich Entwicklung Antriebssysteme zur AVL.
Dipl.-Ing. Kai Uwe Voigt (55) studierte Regelungstechnik an der TU Darmstadt. Nach Stationen als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Regelungstechnik an der TU Darmstadt und beim Prüfstands-Spezialisten Schenck wechselte er 2007 zur AVL.Zunächst leitete er den globalen Geschäftsbereich Prüfsysteme, seit 2010 ist er Geschäftsführer für den Bereich Messtechnik und Prüfsysteme der AVL.
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