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SMEV AG testet das autonome Fahren mit Hilfe 5G auf dem Messegelände Hannover

Fahrerassistenz/Verkehrsbeeinflussung
Freie Bahn für Einsatzfahrzeuge und autonomes Fahren

Auf dem Messegelände der Deutschen Messe in Hannover kann künftig das autonome Fahren erprobt und weiterentwickelt werden. Einer der ersten realen Anwender ist die SMEV AG, die softwaregestützt Einsatzfahrzeugen der Rettungskräfte einen Einsatzkorridor öffnet. Wie diese Technologie auch das autonome Fahren in Innenstädten ermöglichen kann, erläutert der Vorsitzende des Vorstands, Christian Rotthaus, im Interview mit KEM Konstruktion.

Interview: Michael Corban, Chefredakteur KEM Konstruktion

Inhaltsverzeichnis

1. Die Dynamisierung des Verkehrsflusses
2. Transportwünsche koordinieren
3. Die Rolle der 5G-Mobilfunktechnologie
4. Autonomes Fahren in Innenstädten
5. Die Vorteile des Messegeländes als Testgelände
6. Ausblick
7. 5G auf dem Messegelände

KEM Konstruktion: Herr Rotthaus, die Smart City bietet ein enormes Potenzial und Sie arbeiten daran, dies zu erschließen. Was ist Ihr Ziel?

Christian Rotthaus (SMEV): Wir bringen Dinge in Bewegung – und zwar gezielt in Bewegung. Konkret unterstützen wir dazu Einsatzkräfte wie Notärzte und Sanitäter, Feuerwehr und Polizei. Der insbesondere in den Innenstädten wachsende Verkehr erschwert es diesen Personen enorm, ihren Dienst zu erfüllen und innerhalb der vorgegebenen Hilfsfrist den Einsatzort zu erreichen. Da sich zudem separate Spuren für Einsatzkräfte aufgrund der Platzverhältnisse nicht realisieren lassen, ist eine intelligente Lösung gefragt, die Einsatzfahrzeuge auf dem schnellsten Weg zum Ziel führt – ihnen buchstäblich den Weg freiräumt. Genau das erlaubt unsere patentierte digitale SMEV-Motion-Technologie. Mit deren neuartigen Steuerungsalgorithmen wird die Verkehrsleitzentrale ermächtigt, die Ampelschaltung für individuelle Einsatzfahrten zu beeinflussen – was die Rettungskräfte um bis zu 50 Prozent beschleunigt. Zeitgleich – und das ist das Besondere daran – wird aber auch der Individualverkehr gezielt abgeleitet, ohne in einem Stau zu landen. Wir konzentrieren uns also nicht nur auf die Einsatzfahrzeuge, sondern lenken den kompletten Verkehr. Das Konzept geht damit deutlich über eine grüne Welle hinaus, die nicht beschleunigt, sondern immer nur so schnell wie ihr langsamster Teilnehmer ist. Mit unserer Technologie werden Menschenleben gerettet, die Einsatzfähigkeit erhöht und innere Sicherheit garantiert – gleichzeitig lassen sich aber auch Kosten senken und die Umwelt wird geschont.

Die Dynamisierung des Verkehrsflusses

KEM Konstruktion: Können Sie kurz erläutern, wie das System auf technischer Seite funktioniert?

Rotthaus: Letztlich stecken dahinter die Digitalisierung des Verkehrsmanagements und darauf aufbauend die Dynamisierung des Verkehrsflusses – also ein kooperatives Intelligent Transport System (ITS). Berechtigte Personen können dazu über eine App im Einsatzfahrzeug ein Signal zu ihrer Priorisierung erzeugen. Die in Echtzeit prognostizierte Fahrtroute zum Einsatzort wird anschließend über SMEV Authority der Verkehrsleitzentrale übergeben und dort mittels dynamischer Ampelschaltung bei jeder Aktion des Einsatzfahrers in freie Einsatzkorridore gewandelt. Dabei wird auf die Geolokalisierung zurückgegriffen und nicht auf Geräte, die in Ampeln installiert sind. Unterwegs kann das System auf diese Weise synchron auf spontane Routenänderungen reagieren. Parallel wird der Bestandsverkehr kontrolliert abgeleitet und zufließender Verkehr verhindert, indem Informationen zur Bildung von Rettungsgassen oder zum Verlassen der Route gegeben werden. Diese Technik der Priorisierung von Einsatzfahrzeugen lässt sich übrigens auch für den öffentlichen Personennahverkehr nutzen, auf lange Sicht auch für das Management autonomer Fahrzeuge.

Transportwünsche koordinieren

KEM Konstruktion: In diesem Fall geht es dann nicht mehr um eine Priorisierung, sondern eine möglichst effiziente Koordination aller Transportwünsche?

Rotthaus: Das Produkt für alle Verkehrsteilnehmer heißt SMEV Individual und kann ganz einfach mit dem vorhandenen Navigationssystem oder Handy genutzt werden. Es übergibt dem Individualverkehr Informationen zu aktuellen Einsatzmanövern und prognostiziert die Fahrtroute in Echtzeit. Damit ermöglicht es die vorausschauende Organisation von Rettungsgassen beziehungsweise die gesteuerte und kollisionsfreie Wegführung. Es passt laufende Navigationsprozesse an und vermeidet eine Routenkollision mit dem Einsatzfahrzeug. Zukünftig lassen sich diese Algorithmen dann sicher auch von autonomen Fahrzeugen nutzen. Das wird der KI-Einsatz von morgen sein. Zunächst ist aber unser Ziel, die Beeinträchtigung des Individualverkehrs zu minimieren. Dabei soll die Ableitung stets so erfolgen, dass das jeweilige Ziel nicht aus den Augen verloren wird. Das machen wir übrigens gemeinsam mit der Graphmasters GmbH aus Hannover als Kooperationspartner, die schon seit zwölf Jahren an dem sogenannten Collaborative Routing arbeitet. Dabei werden nicht nur die jeweiligen Verkehrsteilnehmer betrachtet, sondern auch die komplette Infrastruktur.

KEM Konstruktion: Das hört sich nach einer fast unlösbaren Aufgabe an – einerseits die Route einzelner Verkehrsteilnehmer zu ‚schätzen‘ und dann die vieler aufeinander abzustimmen?

Rotthaus: Wir sind da zuversichtlich – das ist unser Anspruch. Aber ganz klar – heute sind wir da noch nicht. Aber solch eine stetige Optimierung des Verkehrsflusses ist auf lange Sicht unser Ziel. Zudem wird das nicht zuletzt auch die CO2-Bilanz positiv beeinflussen. Verständlicherweise müssen dazu aber zahlreiche Systeme miteinander harmonieren und die Konnektivität muss gesichert sein – weswegen 5G so wichtig ist.

Die Rolle der 5G-Mobilfunktechnologie

KEM Konstruktion: Welche Rolle spielt dabei die Mobilfunktechnologie 5G?

Rotthaus: Bei uns geht es insbesondere um die Konnektivität und die schnelle Übertragung der Datenvolumina, die wir gewährleisten müssen – dafür ist 5G prädestiniert. So muss etwa die sich ständig verändernde Position des Einsatzfahrzeugs stetig übermittelt werden – je exakter diese Daten sind, desto genauer lassen sich die Korridore bestimmen und beeinflussen. Die Übertragungsgeschwindigkeit ist also ein ganz entscheidendes Kriterium. Um das zu testen und weiterentwickeln zu können, haben wir uns auch für die Nutzung des 5G-Smart-Venue-Angebots der Deutschen Messe AG in Hannover entschieden. Hier sind wir der erste reale Anwender, der das Testgelände zusammen mit der Infrastruktur einschließlich 5G-Mobilfunk dafür nutzen will. Nach Hannover ‚getrieben‘ hat uns aber noch ein weiterer spannender Punkt: Das autonome Fahren.

Autonomes Fahren in Innenstädten

KEM Konstruktion: Wollen Sie das etwas näher ausführen?

Rotthaus: Wir haben 2020 nicht nur unsere Patentkulisse bezüglich des autonomen Fahrens ergänzt sondern auch erhalten. Dazu wurde die ursprüngliche SMEV-Technologie erweitert. Inzwischen verdichtet sich immer mehr – auch durch die Initiative der Bundesregierung, die wir sehr begrüßen –, dass sich Deutschland zu einer der Hochburgen für autonomes Fahren und die damit verbundene Technologie entwickeln will. Das war 2019 noch anders, als viele Stimmen insbesondere in Innenstädten die Realisierung des autonomen Fahrens sehr skeptisch sahen. Ich war allerdings immer überzeugt davon, dass das autonome Fahren auch in Innenstädten nicht aufzuhalten ist – und dass es viele gute Gründe gibt, sich mit der technologischen Entwicklung intensiv zu beschäftigen. Das gilt im Besonderen für unsere Technologie. Warum? Weil selbst die beste Kamera nicht um die Ecke schauen kann, wenn etwa ein autonomes Fahrzeug auf ein Einsatzfahrzeug mit Wegerecht trifft, das aus einer Seitenstraße kommt. Mit anderen Worten: Niemand, der ein autonomes Fahrzeug fahren lassen möchte, kann sich allein auf die eingebaute Sensorik verlassen. Das einzige Signal, das ein autonom fahrendes Auto sicher versteht, ist ein digitales – etwa fahre rechts ran und mache den Weg frei. Mit unserer Technologie können wir dieses Signal geben – angesichts der extrem vielen Einsatzfahrten ist das aus unserer Sicht ein Muss.

KEM Konstruktion: Wie viele Einsatzfahrten gibt es denn pro Jahr?

Rotthaus: Allein in einer Stadt wie Düsseldorf sind das rund 300.000 Fahrten pro Jahr, in ganz Deutschland etwa 20 Millionen – also unvorstellbar viele. Häufig werden ja auch mehrere Einsatzfahrzeuge geschickt – 300.000 Fahrten in Düsseldorf heißt also nicht 300.000 Fälle. Je mehr autonom fahrende Fahrzeuge nun aber unterwegs sind, desto wichtiger wird die digitale Abstimmung aller Verkehrsteilnehmer. 5G ist an dieser Stelle die notwendige Technologie-Basis, um das zu realisieren. Entscheidend ist eben die Übertragung hoher Datenmengen in Echtzeit – die dazu erforderliche hohe Verbindungsqualität kann nur 5G bieten.

„5G auf dem Messegelände testen“

Die Vorteile des Messegeländes als Testgelände

KEM Konstruktion: Und genau diese Verbindungsqualität erhalten Sie auf dem Testgelände in Hannover, dem Messegelände?

Rotthaus: Exakt. Wir beschäftigen uns ja schon lange mit dem autonomen Fahren. Als wir dann hörten, dass wir in Hannover diese Technologien unter realen Bedingungen testen können war klar, dass wir dabei sein wollten. Mit 5G Smart Venue entsteht in Hannover die Möglichkeit, die verschiedenen Systeme rund um das autonome Fahren miteinander in Einklang zu bringen – das ist elementar für uns! Überzeugt hat uns auch die Bereitschaft der Deutschen Messe, dafür die Voraussetzungen seitens der Infrastruktur zu schaffen. Und wer schon einmal wie ich die Chance hatte, in einem Feuerwehrfahrzeug mitzufahren, weiß, wie sehr Feuerwehr, Polizei oder Sanitäter unsere Arbeit schätzen.

KEM Konstruktion: Weil deren Jobs dadurch…

Rotthaus: …leichter werden und der Stress deutlich sinkt, wir die Arbeitsbedingungen verbessern. Dazu muss man auch wissen, dass selbst mit Martinshorn und Blaulicht die Fahrer voll verantwortlich sind – ein Einsatz ist also echter Stress. Mit unserer Technologie können wir erreichen, dass sie mit kontrollierter Geschwindigkeit schneller und vor allem innerhalb der Hilfsfrist ihr Ziel erreichen – ohne auf jedem Meter die maximale Geschwindigkeit herausholen zu müssen. Die Vertreter der Einsatzfahrer sind deswegen in Deutschland ein großer Befürworter unserer Technologie.

KEM Konstruktion: Gibt es denn auf dem Messegelände genügend Ampeln, um ihr System zu testen oder greift man dazu auf Simulationen zurück?

Rotthaus: Das ist ein interessanter Punkt, der uns zum Thema ‚mobiler Stationärampeln‘ führt. Hört sich widersprüchlich an, aber jeder von uns kennt die von Baustellen; also Ampeln, die nur temporär aufgestellt sind. Die sind für unsere Technologie natürlich eine Herausforderung, weil die nicht in das Verkehrsnetz integriert sind – wir sie aber sehr wohl miteinbinden müssen. Dazu machen wir sie letztlich kommunikationsfähig mit unserer SMEV-Road-Unit, auch dafür eignet sich 5G gut. Der Marktführer für transportable Ampeln ist übrigens die B.A.S. Verkehrstechnik AG aus Niedersachsen, deren Vorstandsvorsitzender uns sehr stark unterstützt. Hier finden gerade Gespräche statt, dies dann auch auf dem Messegelände zu nutzen.

„10 Jahre könnte das schon noch dauern“

Ausblick

KEM Konstruktion: Wann denken Sie denn, dass das autonome Fahren in diesem Sinne – also mit einer zentralen, steuernden Intelligenz – Realität wird?

Rotthaus: Die technischen Voraussetzungen sind aus unserer Sicht 2025 vorhanden – aber in der Breite ist das autonome Fahren dann sicherlich noch nicht umgesetzt. Letztlich muss das ja reguliert werden. Einen großen Schritt haben wir aber mit der bereits erwähnten Initiative der Bundesregierung jetzt gemacht, da das Verkehrsministerium das Gesetz auf den Weg gebracht hat, das generell das autonome Fahren in deutschen Innenstädten ermöglicht. Im BMVI wird dazu vor allem an den beiden Themen Künstliche Intelligenz (KI) und Drohnen – in welchem Einsatz auch immer – gearbeitet. Meiner Meinung nach sollten 2030 Fahrzeuge des ÖPNV autonom fahren können und sich erste Dienstleister wie Speditionen oder Taxiunternehmen in diese Richtung entwickeln. Das Gesetz der Bundesregierung ist dazu ein echter Meilenstein, da Investitionssicherheit geschaffen wurde – auch für Hannover und das Testgelände. Zusammen mit der Deutschen Messe sind wir deswegen auch Partner im Konsortium Testfeld Niedersachsen, in dem zusammen mit dem Bundesland Niedersachsen, niedersächsischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen fortschrittliche Fahrerassistenzfunktionen sowie automatisierte und vernetzte Mobilität in der Praxis erprobt werden.

Kontakt:
SMEV AG Smart Mobility Evolution
Im Technologiepark 1
15236 Frankfurt (Oder)
Tel. +49 335/5571400
info@smev.ag
https://smev.ag/


5G auf dem Messegelände

‚5G Smart Venue‘ lautet der Name eines neuen Angebots der Deutschen Messe AG. Dahinter steht die Chance, Innovationen im Zusammenhang mit der 5G-Mobilfunktechnologie in einer realen Umgebung einfach testen, demonstrieren und weiterentwickeln zu können. Da das Messegelände über urbane Strukturen verfügt, aber einen in sich geschlossenen Raum bildet, fallen Sicherungsmaßnahmen deutlich geringer aus. 5G Smart Venue richtet sich an alle, die derzeit 5G-Anwendungsszenarien entwickeln und Test- sowie Demonstrationsmöglichkeiten suchen.

Das 5G-Campusnetz auf dem 1,5 Millionen m2 großen Messegelände ist auf dem kompletten Freigelände und in den Hallen 9, 16/17 sowie 19/20 fertiggestellt.
Bild: Deutsche Messe


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