Startseite » Antrieb »

Variabilität ist Trumpf

Verdichtung im Ottomotor
Variabilität ist Trumpf

Infiniti wird 2018 einen Ottomotor mit variabler Verdichtung auf den Markt bringen. Er wäre das erste Serienaggregat dieser Art und ein Meilenstein in der Motorenentwicklung. Doch auch andere Entwickler tüfteln an serientauglichen Lösungen.

Der Autor: Jürgen Goroncy, freier Mitarbeiter der KEM Automobilkonstruktion

Variabilität ist immer mehr gefragt: Ob Lenkunterstützung, Pumpen, Ventilhub und -steuerzeiten, die Ingenieure haben automobile Systeme sukzessive aus ihrem starren Korsett befreit. Nur beim Verdichtungsverhältnis ist das bisher noch nicht gelungen, obwohl die Vorteile verführerisch sind. Dank einer variablen Verdichtung könnte der Zielkonflikt zwischen hoher Verdichtung bei Teillastbetrieb (gut für einen hohen Wirkungsgrad) und niedriger Verdichtung bei Volllast (geringere Klopfneigung und Verbrennungsdrücke, weniger Reibung) elegant entschärft werden.
Doch bisher hat noch kein OEM diesen „heiligen Gral“ gefunden. Die inzwischen untergegangene Marke Saab experimentierte um die Jahrtausendwende mit einem Motor, bei dem durch Kippen des Zylinderkopfs die Verdichtung variiert werden sollte. Auch Daimler arbeitet schon fast zwei Jahrzehnte an dieser Thematik und präferiert derzeit eine Lösung ähnlich wie die nachfolgend vorgestellte von Infiniti.
Der Serieneinsatz naht
Infiniti scheint als Erster den Stein der Weisen gefunden zu haben. In dem neu entwickelten 2-Liter-Vierzylinder-Ottomotor ist das Pleuel am unteren Ende nicht direkt mit der Kurbelwelle verbunden, sondern an einem drehbaren Umlenker befestigt, dessen Bewegungskurve – ähnlich wie bei verstellbaren Nockenwellen – durch einen elektrischen Stellmechanismus verändert wird. Dies wirkt sich auf den maximalen Hub des Kolbens aus und erzeugt stufenlos Verdichtungsverhältnisse zwischen 8:1 (für hohe Leistung) und 14:1 (für hohe Effizienz).
Als einen Vorteil dieses Multi-Link genannten Konzepts sieht Infiniti die geführten Kolben, deren Pleuelstangen während des Verbrennungszyklus nahezu vertikal stehen. Dies soll zusammen mit beschichteten Zylinderlaufflächen die Kolbenreibung mehr als halbieren. Zudem sollen die Bewegungen der Multi-Link-Mimik nur ein Drittel der Vibrationen eines konventionellen Vierzylinder-Hubkolbenmotors erzeugen und machen im VCT-Aggregat (Variable Compression Turbo) laut Infiniti Ausgleichswellen überflüssig.
Dank seiner variablen Verdichtung und einer variablen Ventilsteuerung (Einlass: elektrisch, Auslass: hydraulisch) kann der VCT-Motor unter anderem nahtlos zwischen Atkinson- und konventionellen Verbrennungszyklen wechseln. Weitere Variabilität erreicht Infiniti durch den gleichzeitigen (bei hoher Drehzahl und Last) oder separaten Einsatz einer Saugrohr-Einspritzung (eher bei Teillast) und einer direkten Einspritzung (eher bei Volllast) in den Brennraum. Zusammen mit dem Turbolader plus Wastegate, einem in den Zylinderkopf integrierten Abgaskrümmer, der zweistufigen Ölpumpe sowie einem ausgeklügelten Thermomanagement bietet dieser Technik-Cocktail große Freiheiten für das Motormanagement.
Kein Wunder, dass Infiniti unter dem Strich einen bis zu 27 % geringeren Kraftstoffverbrauch im Vergleich zu ähnlich leistungsstarken V6-Motoren erwartet. Präzise Vergleichsdaten mit Vierzylindermotoren könne man noch nicht kommunizieren, so ein Unternehmenssprecher. Apropos Leistung: Im Datenblatt des ersten VCT-Serienmotors sollen etwa 200 kW Leistung und 390 Nm Drehmoment stehen.
Welche Lösungen sind noch möglich?
Eine weitere Technikvariante bringt der Ingenieursdienstleister IAV ins Spiel. Er will den gesamten Zylinderkopf inklusive der Laufbuchsen mit zwei elektrischen Stellmotoren um maximal 6 mm gegenüber dem Kurbelgehäuse verschieben und so bei Dieselmotoren Verdichtungsverhältnisse zwischen 11:1 und 20:1 erzielen. In Prototypen ließe sich dadurch die Motorleistung um 22 % steigern, der Verbrauch um 4 % senken, ebenso wie die NOx- und Partikelemissionen.
Großer Nachteil der bisher genannten Systeme ist, dass sie umfangreiche und kostenintensive Eingriffe in die Motorstruktur erfordern, die nur bei Neukonstruktionen zu rechtfertigen sind. So hat der VCT-Motor von Infiniti etwa drei Mal so viel Lagerstellen wie ein herkömmlicher Verbrennungsmotor. Entwicklungsdienstleister wie die FEV und AVL streben deshalb einfachere Lösungen an. Beim FEV-Konzept erzeugt ein Pleuel mit schwenkbar gelagertem Exzenter im kleinen Pleuelauge die variable Verdichtung. Bei der AVL will man dies mit einem teleskopartigen Pleuel erreichen. In beiden Fällen soll die Verschiebung ohne externe Energiezufuhr geschehen, nur abhängig von den aktuell wirkenden Kräften und Momenten. Die FEV rechnet bei ihrer zweistufigen Lösung mit etwa 6 % Sparpotenzial im NEFZ.
AVL präferiert eine einfache Lösung mit jeweils zweistufig variablem Verdichtungsverhältnis und Ventilhubverstellung. Voraussetzung ist, dass relevante Motor- und Fahrzeugparameter von Anfang an berücksichtigt werden. Der zweistufige Teleskop-Pleuel sei zwar technisch vermutlich schwer umsetzbar, aber relativ kostengünstig.
Den starken Fokus auf Einfachheit und Kostenattraktivität begründet man mit zwei Trends: Zum einen stehe die variable Verdichtung in einem sehr intensiven Wettbewerb zu anderen Effizienztechniken. Deshalb würden eine gewisse Kompatibilität zu ihnen und eine gute Integrierbarkeit in aktuelle Motoren die Marktchancen verbessern. Zum anderen werfe die Kostendegression bei batterieelektrischen Antrieben die Frage auf, ob ein teurer Technologiesprung wie die variable Verdichtung sinnvoll sei oder nicht doch die evolutionäre Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors im Windschatten der weiteren Elektrifizierung. jpk
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten

Video-Tipps

Unser aktueller Video-Tipp: 100 Jahre BMW


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de